Bernd Nitzschke

Die Bedeutung der Sexualität im Werk Sigmund Freuds

 

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Einleitende Bemerkungen

Die Bedeutung der Sexualität im Werk Sigmund Freuds zu bestimmen trifft auf eine Reihe von Schwierigkeiten, die nur aufzuzeigen, nicht aber zu lösen sind. Diese Schwierigkeiten sind zunächst einmal unabhängig vom Werk Sigmund Freuds selbst zu sehen.

Der Begriff «Sexualität» wird im vorwissenschaftlichen wie auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch in derart vielschichtigem Sinne verwendet, daß es unmöglich erscheint, ihn exakt einzugrenzen und inhaltlich zu bestimmen. Stoller (1968) meint sogar, dieser Begriff beziehe sich auf derart viele und unterschiedliche Erscheinungen, daß er ­ losgelöst von einer exakt bestimmten Fragestellung - eigentlich überhaupt keinen Inhalt mehr kommuniziere. Schließlich ist es schwer, die Frage zu beantworten, was unter Sexualität zu verstehen sei, weil bis heute keine übergreifende wissenschaftliche Theorie vorliegt, innerhalb derer das Problem der Sexualität verbindlich darzustellen wäre (vgl. z. B. Schmidt 1975)

Nun kann man zwar die von Freud entwickelte psychoanalytische Theorie u. a. auch als einen - wenngleich nicht abgeschlossenen - Versuch begreifen, das Problem der Sexualität innerhalb eines relativ abgegrenzten theoretischen Rahmens darzustellen. Es zeigt sich aber bei einer genaueren Analyse dieser Theorie, daß gerade Freuds Versuch, Problem der menschlichen Sexualität näher zu beschreiben, dazu führte, den Begriff der Sexualität immer mehr auszudehnen, bis er sich schließlich deutlich philosophischen Vorstellungen vom «Eros» annäherte. Damit wird aber eine streng wissenschaftliche Definition des Begriffs «Sexualität» wieder in Frage gestellt.

Freuds Auffassung der Sexualität zeichnet sich durch eine Widersprüchlichkeit aus, die zwei unterschiedlichen, einander entgegengesetzten Ausgangspositionen zuzuschreiben ist. Zum einen versuchte Freud das Problem unter streng naturwissenschaftlichen Fragestellungen anzugehen. Er sah in der Biologie und Physiologie eine Grundlage der theoretischen Bemühungen hinsichtlich des Problems der Sexualität gegeben. Da er aber zum anderen im wesentlichen an den psychischen Faktoren der Sexualität interessiert war, versuchte er, eben mit Hilfe der psychoanalytischen Methode, die Transformationen somatischer in psychische Faktoren darzustellen. Dies führte ihn in letzter Konsequenz zu einer Art Triebmythologie, die zwar einen der Grundsteine der von Freud entwickelten psychoanalytischen Theorie abgibt, die es aber gleichzeitig sehr erschwert, abgegrenzt zu beschreiben, was nach Ansicht Freuds unter den Begriff der Sexualität fällt. Insbesondere die im Zusammenhang mit der Libidotheorie, die ihrerseits das Problem der menschlichen Sexualität zum Ausgangspunkt hat, entwickelten Konzepte zeigen, in welch weit verzweigtem Sinn Freud die menschliche Sexualität mit der Entwicklung der Persönlichkeit verbindet.

Die erwähnte Widersprüchlichkeit in Freuds Auffassung der Sexualität findet eine Art Auflösung im Postulat des Unbewußten. Freud grenzt, nicht nur hinsichtlich des Problems der Sexualität, eine eigenständige «psychische Realität» von einer «materiellen Realität» ab. Er steht damit in einer Tradition, die für die abendländische Philosophie charakteristisch ist. In dem von Freud angenommenen Unbewußten überschneiden sich nun beide Arten der Realität. Das Unbewußte erscheint als eine Form von Grenzbereich zwischen Somatischem und Psychischem. Das Unbewußte ist nach Auffassung Freuds das eigentlich reale Psychische, es enthält aber seinerseits Triebrepräsentanzen, deren Ursprung somatischer Natur ist (Freud 1915 d). In diesem Zusammenhang weist Erikson (1957) daraufhin, daß Freuds Vorstellungen vom eigentlich realen Psychischen, vom Unbewußten also, in enger Beziehung zu der von Schopenhauer angenommenen Kraft des «Willens» stehen. Da aber die Sexualtriebe in enger Beziehung zum unbewußten System zu sehen sind, deren «Kraft», die Libido, eine spezifische Form psychischer Energie, dort eine Reihe charakteristischer Umsetzungen erfährt und vom unbewußten System aus auch das scheinbar asexuelle Verhalten des Menschen weitgehend determiniert, muß der psychische Faktor, den Freud der Sexualität des Menschen zuerkennt, ganz unter dem Blickwinkel des von Freud angenommenen Unbewußten interpretiert werden. Von der Annahme der psychischen Realität des Unbewußten zu den bereits erwähnten triebmythologischen Vorstellungen Freuds im Zusammenhang mit dem Problem der Sexualität führt somit eine Art zwangsläufiger Verbindung. Zwischen der anzunehmenden somatischen Grundlage der menschlichen Sexualität und den von Freud aufgestellten triebmythologischen Hypothesen besteht, berücksichtigt man das Postulat des Unbewußten, nicht mehr die direkte Widersprüchlichkeit, die man zunächst zwischen naturwissenschaftlichen und eher philosophischen Ausgangsfragestellungen annehmen sollte. Für eine spezifische Abgrenzung des Problems der Sexualität im Werk Freuds ergeben sich damit aber kaum überwindbare Schwierigkeiten, weil schwer zu bestimmen ist, wo die Sexualität im engeren Sinne aufhört eine für das übrige psychische Geschehen entscheidende Rolle zu spielen.

Unter der Voraussetzung der beiden genannten Aspekte - des naturwissenschaftlichen wie des triebmythologisch-philosophischen -, die Freuds Auffassung der Sexualität charakterisieren, läßt sich vorweg sagen, daß für Freud Sexualität nicht gleichzusetzen ist mit explizitem sexuellen Verhalten. Freuds Begriff der Sexualität reicht damit also weit über jenen hinaus, der in Standardwerken der Sexualforschung (etwa: Ford und Beach 1951; Kinsey u. a. 1948, 1953; Masters und Johnson 1966) oder in einigen motivationspsychologischen Theorien über sexuelles Verhalten (Whalen 1966, Hardy 1964) verwendet wird.

Das menschliche Sexualverhalten, das mit der Reizung und Erregung der Sexualorgane und schließlich mit irgendeiner Form explizit sexueller Aktivität, im «Normalfall» mit heterosexuellem Koitus, verbunden ist, steht nicht im Mittelpunkt des von Freud verwendeten Begriffs der Sexualität. Dies läßt sich in dieser Ausschließlichkeit vielleicht nicht für manche vor 1900 erschienenen Arbeiten Freuds behaupten, trifft aber auf das Werk Freuds spätestens seit Erscheinen der «Traumdeutung» (1900) zu, in der Freud das Problem der menschlichen Sexualität bereits vollständig in seine Auffassungen über den Aufbau und die Funktionsweise des psychischen Apparates integriert. Hier beschreibt Freud auch die Ödipuskonstellation bereits als ein im Kern «sexuelles» Problem. Diese Situation ist wohl ausgezeichnet durch libidinöses - «sexuelles» - Begehren des Kindes, nicht aber notwendig verbunden mit tatsächlichen sexuellen Aktivitäten (im expliziten Sinne) zwischen dem Kind und dem von ihm begehrten Elternteil (Sexualobjekt). Der psychische Faktor ist im Zusammenhang mit der Ödipuskonstellation der entscheidende.

Freud schlägt später selbst vor, den Begriff der Sexualität, soweit er innerhalb der psychoanalytischen Theorie verwendet wird, durch den Begriff «Psychosexualität» zu ersetzen (1910 d). Dadurch solle vermieden werden, einseitig den somatischen Aspekt der Sexualität in den Vordergrund zu stellen, da - insbesondere auch im Zusammenhang der Behandlung psychisch Kranker - der psychische Aspekt der Sexualität von besonderer Bedeutung sei. Es könne, so führt Freud aus, z. B. durchaus normaler Sexualverkehr vorliegen und dabei dennoch seelische Unbefriedigung vorhanden sein. Im psychoanalytischen Sinne ist daher der psychische Aspekt der Sexualität, der von Freud bis in die Kindheit, aber auch bis in die Vorgeschichte des Menschen zurückverfolgt wird, wichtiger, als der im engsten Sinne zu verstehende somatische Aspekt der Sexualität. «Wer diese Auffassung der Psychosexualität nicht teilt, hat kein Recht sich auf die Lehrsätze der Psychoanalyse zu berufen, in denen von der ätiologischen Bedeutung der Sexualität gehandelt wird. Er hat sich durch die ausschließliche Betonung des somatischen Faktors am Sexuellen das Problem gewiß sehr vereinfacht, aber er mag für sein Vorgehen allein die Verantwortung tragen», wie Freud im Hinblick auf eine ausschließlich somatische Behandlung psychosexueller Störungen bemerkt (1910 d, 121). Die der Neurose zugrunde liegende Unterdrückung und Hemmung von Triebimpulsen ist also nicht dann schon aus der Welt geschafft, wenn beispielsweise die Erektions- oder Orgasmusfähigkeit vorhanden, bzw. wiederhergestellt ist. Vielmehr sollen die ursprüngliche Intensität des emotionalen und affektiven Erlebens und damit verbunden die Liebesfähigkeit des Patienten wiederhergestellt werden. Dieses therapeutische Ziel mag erkennen lassen, in welchem Sinn der von Freud verwendete Begriff der Psychosexualität zu verstehen ist. Darüber hinaus enthält diese Zielsetzung einen für jede Diskussion des Problems «sexueller Befreiung» wichtigen Gesichtspunkt. Auf den mit dieser Auffassung der Psychosexualität verbundenen Problemkreis, der besonders mit der Umgestaltung der infantilen Sexualität zur reifen Psychosexualität des Erwachsenen verbunden ist, wird im Verlauf der folgenden Abschnitte wiederholt zurückzukommen sein.

Insofern also Freud das Problem der Sexualität im umfassenden Sinne unter einer psychologischen Fragestellung begreift, die auch dort bereits angesprochen wird, wo Freud - wie vor 1900 - mit Hilfe zum Teil relativ einfacher mechanistischer Denkvorstellungen etwa frustrane Erregung bzw. sexuelle Erregungsstauung und psychische Krankheit miteinander zu verbinden sucht, ist es kaum möglich, Freuds Auffassung der Sexualität ohne Berücksichtigung fast sämtlicher wichtiger psychoanalytischer Grundkonzepte darzustellen. Freud hat keine abgeschlossene Sexualtheorie aufgestellt, die neben oder außerhalb der psychoanalytischen Theorie Gültigkeit besäße und abzuhandeln wäre. So schreibt Freud im Vorwort zur dritten Auflage (1914) der «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» (1905 a), die dortigen Ausführungen könnten nicht den Anspruch einer «Sexualtheorie» erfüllen und ließen sich auch nicht zu einer solchen erweitern. Ellenberger (1970, dt. Ausg., 691) stellt fest, die «Abhandlungen» machten den Eindruck, als seien «sie ein Auszug aus einem ausführlichen Buch und nicht selbst ein Originalwerk». Das «Originalwerk», zu dem sich die «Abhandlungen» wie ein Auszug verhalten, ist aber die von Freud entwickelte und im Laufe der Zeit mehrfach modifizierte psychoanalytische Theorie, wie sie sich im Gesamtwerk Freuds darstellt und wie sie sich in grundsätzlicher - wenngleich noch nicht voll ausgeführter - Form bereits im «Entwurf einer Psychologie» (1895; veröffentlicht: 1962) oder in der «Traumdeutung» (1900) erkennen läßt. Diese Behauptung, daß die «Abhandlungen» nur ein besonderes Stück der übergreifenden psychoanalytischen Theorie darstellen, läßt sich auch insofern rechtfertigen, als Freud bei jeder neuen Auflage der «Abhandlungen» darum bemüht war, den jeweils erreichten Stand der psychoanalytischen Forschung, soweit er für das Problem der Sexualität relevant war, einzuarbeiten. Einen systematischen historischen Überblick der von Freud in den «Abhandlungen» vorgenommenen Ergänzungen gibt Nagera (1974).

Wollte man also die Bedeutung der Sexualität im Werk Freuds tatsächlich im ganzen Umfange darstellen, ließe sich eine Diskussion der wichtigsten psychoanalytischen Konzepte und Begriffe nicht vermeiden. Dies kann aber hier nicht geschehen; im vorliegenden Beitrag soll dagegen vor allem eine interpretative Verknüpfung der in Frage kommenden psychoanalytischen Konzepte versucht werden, woraus dann die Bedeutung der Sexualität im Werk Freuds extrapoliert werden kann.

Was für das Problem der Sexualität gilt, daß es nämlich ohne Berücksichtigung der psychoanalytischen Theorie nicht sinnvoll zu begreifen ist, gilt auch umgekehrt: Die wichtigsten psychoanalytischen Konzepte und Begriffe sind von Freud in Auseinandersetzung mit dem Problem der Sexualität entwickelt worden. Die psychoanalytische Theorie ist also in historisch-genetischer wie in inhaltlicher Hinsicht aufs engste mit Freuds Auffassungen der Sexualität des Menschen verbunden. Dies gilt vor allem für die von Freud vertretene Neurosenlehre, für den von Freud angenommenen Gegensatz zwischen Lustprinzip und Realitätsprinzip, der für die Neurosentheorie wie für die Entwicklung des Ich eine entscheidende Rolle spielt, weiterhin für die von Freud angenommene Entwicklung des Charakters und die Zerlegung der psychischen Persönlichkeit in die drei Instanzen des Es, Ich und Über-Ich. Schließlich besitzen Freuds Auffassungen über die Sexualität des Menschen grundlegende Bedeutung für seine kulturkritischen Arbeiten.

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Freuds Konzept der Sexualität

Freud entwickelte sein Konzept der Sexualität zunächst in enger Auseinandersetzung mit der Analyse neurotischer Erkrankungen und erweiterte und differenzierte es dann im Kontext seiner Untersuchungen über die Entwicklung der infantilen Sexualität, die Funktionsweise des psychischen Apparates und den Aufbau der Persönlichkeit. In einer Darstellung des menschlichen Sexuallebens, der Freud in den «Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse» (1916-17) ein eigenes Kapitel einräumt, vertritt Freud die Ansicht, man könne die «normale» Sexualität nicht verstehen, wenn man die krankhaften Gestaltungen des Sexuallebens nicht begreife. Wie psychische Gesundheit und Krankheit im Allgemeinen, so sind nach Ansicht Freuds «normale» und «abnorme» Manifestationen sexueller Triebregungen auch nicht prinzipiell zu trennen. Lediglich quantitative, nicht aber originär qualitative Faktoren sind für psychische Gesundheit und Krankheit - auch auf dem Gebiet der Sexualität - ausschlaggebend. Mit dieser Auffassung trat Freud den Entartungs- und Degenerations­theoretikern des 19. Jahrhunderts entgegen, die beispielsweise zwischen sexuellen Perversionen und normal genannten Manifestationen der Sexualität des Menschen eine strikte Trennung vornahmen.

Wenn sich Freud dem Problem der Sexualität zunächst im Kontext der Analyse neurotischer Erkrankungen annähert, so folgt er damit einer Vorgehensweise, die die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Sexualität im 19. Jahrhundert insgesamt charakterisiert. Die Sexualität des Menschen rückt im 19. Jahrhundert unter dem Zeichen der Pathologie in den Blickpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Das epochemachende Werk Krafft-Ebings «Psychopathia sexualis» (1886) drückt diesen Ausgangspunkt bereits im Titel aus.

Dieser Ausgangspunkt ist auch für das von Freud vertretene Konzept der Sexualität von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Zwar sind Freuds Arbeiten zum Problem der Sexualität weniger durch die «Krankheits-Stilistik» gekennzeichnet, die Wettley und Leibbrand (1959) für die wissenschaftliche Betrachtungsweise der Sexualität im 19. Jahrhundert insgesamt als typisch ansehen, doch Freuds Auffassungen über das Sexualleben des «Kulturmenschen» lassen ihre Verwurzelung in der Analyse neurotischer Erkrankungen durchaus erkennen. Freud charakterisiert die Sexualität des «Kulturmenschen» wiederholt als eingeschränkte und unterdrückte Ausdrucksform eines ursprünglich vitaleren und direkteren Trieblebens, das er dem fiktiv angenommenen «Primitiven» oder «Urmenschen» unterstellt. Die kulturelle Umformung der nach Freud anzunehmenden ursprünglichen Triebkonstitution des Menschen trägt also - interpretiert man Freud extensiv - Zeichen der Einschränkung, des Verfalls, vielleicht sogar der Krankheit an sich. Die Neurotiker (bzw. Perversen) sind daher als die Extreme kulturell bedingter Triebunterdrückung (bzw. deren partieller Negation) anzusehen, die auch für den psychisch Gesunden anzunehmen ist (vgl. Freud 1910 b; 1912 a).

Neben dem genannten Sachverhalt, wonach die Sexualität als Erkenntnisgegenstand der Wissenschaft - zunächst der Psychiatrie - im 19. Jahrhundert im Zeichen ihrer Pathologie auftritt, ist darüber hinaus von Bedeutung, daß die Sexualität des Menschen im 19. Jahrhundert überhaupt Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungsweise werden konnte. Offenbar hatte sich in den Industriegesellschaften aufgrund des vorausgegangenen, die Etablierung der bürgerlichen Gesellschaften begleitenden Umgestaltungsprozesses der sozialen Beziehungen zwischen den Menschen das Problem der Sexualität in dem uns vertrauten Sinne überhaupt erst entwickelt (van Ussel 1970). Wenn das Triebleben des Menschen zu einem Problem hatte werden können, dem nur noch durch wissenschaftliche Analyse (und ggf. Therapie) Abhilfe zu schaffen war, so setzte dies voraus, daß eine völlig neue, der vorbürgerlichen Gesellschaft noch nicht vertraute, Sichtweise der «Sexualität» entstanden war.

Wird Sexualität unter einer wissenschaftlichen Perspektive wahrgenommen, so liegt darin ein zunächst kaum auflösbarer Widerspruch. In der vorwissenschaftlichen Perspektive repräsentiert die Sexualität des Menschen einen Bereich, der mit der Vernunft bzw. der rationalen Durchdringung sehr wenig, hingegen mit den Leidenschaften, dem religiösen Kult und dem «Dämonischen» der menschlichen Natur sehr viel zu tun hat. Das Triebleben des Menschen zu «analysieren» und wissenschaftlich zu erklären, setzt voraus, daß man darauf vertraut, dieser Bereich sei der wissenschaftlichen Vernunft tatsächlich zugänglich. Dies setzte Freud voraus, wenngleich er bei einer näheren Analyse des Problems der Triebe doch wieder auf ältere, vorwissenschaftliche, der analytischen Vernunft an sich nicht entsprechende Konzepte zurückgegriffen hat, so etwa, wenn er im Spätwerk die Sexualtriebe mit den platonischen Vorstellungen vom Eros in Verbindung bringt (Freud 1920).

Unter der Voraussetzung eines historisch-materialistischen Ansatzes meint Dörner (1970, 129), «daß <Sexualwissenschaft> ein Widerspruch in sich ist; denn schärfer als sonstwo wird an ihr deutlich, daß der Gegenstand (die Sexualität), will man ihm gerecht werden, das methodische Bemühen um ihn, also <Wissenschaft> im konventionellen Sinne, notwendig sprengt». Es liegt vielleicht im Gegenstand «Sexualität» begründet, daß Freud, je mehr er sich damit auseinandersetzte, zunehmend mechanistische und energetische Denkmodelle seiner Zeit, die er im naturwissenschaftlichen Sinn auf das Problem der Sexualität zu übertragen suchte, aufgeben oder doch erheblich modifizieren und ergänzen mußte. Seine Erweiterung des Begriffs Sexualität zum Begriff der Psychosexualität und schließlich der Übergang zum Begriff des Eros sind womöglich notwendiges Resultat einer Interpretation der Sexualität, die tiefer reicht als die Erklärungen der herkömmlichen Sexualforschung. Freuds triebmythologische Vorstellungen könnten so als geradezu notwendiger Ausdruck der mit dem Problem der Sexualität verbundenen und in den vorbürgerlichen und «primitiven» Gesellschaften seit jeher angenommenen Transzendenz des Triebes verstanden werden.

Nicht nur die Sexualforschung, auch der Begriff «Sexualität» entstand vermutlich erst «im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Industriegesellschaften» (van Ussel 1970, 8). Bereits im 18. Jahrhundert taucht das Adjektiv «sexuell» auf, das im damaligen Sprachgebrauch im wesentlichen Phänomene bezeichnet, die mit dem Unterschied der Geschlechter verbunden sind. Der Begriff der Sexualität, wie er sich im 19.Jahrhundert herausbildet und bis heute gültig ist, faßt die «rein» sexuellen Komponenten zahlreicher Verhaltensweisen und Erscheinungen zusammen, die in dieser - gleichzeitig isolierenden und komprimierenden - Form zuvor nicht abstrahiert worden waren. Ein dem Begriff Sexualität entsprechendes Wort, das in reiner Form alles abstrahiert und zusammenfaßt, was mit der Geschlechtlichkeit des Menschen verbunden ist, findet sich weder bei Homer noch bei Shakespeare noch in der Bibel. Das Fehlen eines entsprechenden Wortes in den vorbürgerlichen Gesellschaften kann jedoch nicht einem Mangel im Wortschatz zugeschrieben werden (van Ussel 1970). Während zuvor zwischen explizit sexuellem Verhalten einerseits und Erotik, Liebe, Zärtlichkeit, Körperlichkeit, Sensualität, Lust, Affektivität und den Leidenschaften andererseits keine klaren Grenzen zu ziehen waren, wurde nun im 19. Jahrhundert die Sexualität dingfest gemacht. Das muß als Resultat eines vorausgegangenen Entsinnlichungsprozesses verstanden werden. Sowohl die Bildung des Begriffs Sexualität als auch dessen umfassende Verwendungsmöglichkeiten deuten denn auch eher auf eine Verdrängung der sexuellen Komponenten von Verhaltensweisen (die dann asexuell erscheinen), denn auf eine deutlichere und exaktere Bestimmung des menschlichen Trieblebens hin.

Die Entsinnlichung der Realität, die eine klare Trennung zwischen scheinbar sexuellen und asexuellen Verhaltensweisen ermöglichte, kann nach van Ussel (1970) mit der Industrialisierung in Verbindung gebracht werden. Die Arbeitswelt stand jetzt in einem schroffen Gegensatz zur «Lustwelt»; das Ausleben der Affekte war den gesitteten Manieren gewichen; zu starke Leidenschaften gerieten jetzt in die Nähe der Unver­nunft (vgl. Foucault 1961). Die Familie hatte sich von der Großfamilie zur Kernfamilie entwickelt, ein Vorgang, der eingebettet war in einen umfassenden sozialen Dissoziationsprozeß, der zu einer bis dahin nicht bekannten Form der Individualisierung führen sollte. Damit verbunden waren die Intimisierung der Körperlichkeit und der Geschlechtlichkeit sowie die von Verinnerlichungsprozessen begleitete Privatisierung des Trieblebens. So etablierte sich ein isolierter Erlebnis- und Verhaltensbereich, aus dem dann die Sexualität abstrahiert werden konnte.

Es gehört zu einer der wichtigsten Leistungen Freuds, diesen engen Sexualitätsbegriff, den er in der wissenschaftlichen Literatur seiner Zeit vorfand, zunehmend wieder ausgedehnt zu haben. Damit konnte die Trennung zwischen sexuellen und a-sexuellen Verhaltensweisen und Erscheinungen wieder in Frage gestellt werden. So bemühte sich Freud mit Hilfe psychoanalytischer Konzepte, den sexuellen Aspekt scheinbar asexueller Phänomene aufzuzeigen und in systematischer Form darzustellen. Das brachte ihm vielfach den Vorwurf des «Pansexualismus» ein.

Der im 19. Jahrhundert übliche Begriff der Sexualität verdankt sich also der Isolierung der mit dem Unterschied der Geschlechter, dem Sexualakt und der Fortpflanzung verbundenen Verhaltensweisen aus dem umfassenden Kontext, in dem das affektive und soziale Verhalten des Menschen steht. Es stellt sich somit die Frage, ob dieser abstrakte Begriff nicht eine bloße Schein-Realität repräsentiert. «Es ist demnach sehr wohl möglich, daß der Begriff <Sexualität> eine hypothetische Konstruktion ist, die zwar semantisch besteht, jedoch keine Hinweise auf entsprechende Gegebenheiten in der ontischen Ordnung enthält. Wenn wir dies nicht klar erkennen, so besteht die Gefahr, daß wir uns unbewußt einer Metasprache bedienen» (van Ussel 1970, 9). Ein analoger Gedanke findet sich bei Freud: «Wir können ahnen, daß in der Entwicklung des Begriffes <sexuell> etwas vor sich gegangen ist, was nach einem guten Ausdruck von H. Silberer einen <Überdeckungsfehler> zur Folge hatte» (1916-17, 314). Mit dem angesprochenen Überdeckungsfehler ist hier gemeint, daß die Konzentration auf explizite und eindeutig erkennbare Sexualität die tiefere Verankerung entsprechender Verhaltensweisen nicht mehr erkennen läßt, während umgekehrt das sexuelle Moment scheinbar asexueller Verhaltensweisen der bewußten Wahrnehmung entgeht.

Die von Freud vorgenommene Erweiterung des im 19. Jahrhundert üblichen Sexualitätsbegriffs kann nun aber nicht als eine Neuentdeckung, sie muß vielmehr als Wiederentdeckung bezeichnet werden, da eine entsprechende Einengung der «Sexualität» des Menschen in der vorbürgerlichen Gesellschaft unbekannt war. Freuds erweiterte Sicht der Sexualität führt zu zwei mit einander verbundenen Folgerungen: Zum einen wird das Phänomen «Sexualität» von Freud wieder aufgegliedert und in zahlreiche Komponenten zerlegt; zum anderen werden scheinbar asexuelle Erscheinungen «resexualisiert», d. h. zum Teil oder ganz auf sexuelle Triebkräfte zurückgeführt. Damit verliert das Konzept «Sexualität» seine angestammte Bedeutung: Weder der Gegensatz der Geschlechter noch der Sexualakt noch das biologische Ziel dieses Aktes - die Fortpflanzung- genügen nun, den Begriff der Sexualität inhaltlich zu bestimmen. Auch eine Gleichsetzung von «sexuell» und «genital» lehnt Freud ab. Wie das Psychische weit über das Bewußte hinausreicht und beide Begriffe nicht gleichgesetzt werden dürfen, so kann man auch nicht umhin, «ein <sexuell> gelten zu lassen das nicht <genital> ist, nichts mit der Fortpflanzung zu tun hat» (Freud 1916-17, 332). Die Sexualität des Menschen ist damit nicht mehr an die Funktionsfähigkeit der Keimdrüsen nach der Pubertät gebunden. Vielmehr ist sie schon beim Kind anzunehmen. In Form einer spezifischen psychischen Energie - der Libido - ist sie für das Triebleben des Kindes und damit als Ausgangspunk des Aufbaus des Ich im Kontext der sich entwickelnden Objektbeziehungen bestimmend. Diese Annahme führt Freud nicht nur zu einer besonderen Betonung der infantilen Sexualität, sondern auch zur Beachtung und genaueren Analyse der Schicksale und Umsetzungen der libidinösen Energie im Individuum. Die Eltern-Kind-Beziehung, die Charakterbildung und die Ausgestaltung der Intellektualität, schließlich die Affektivität und deren Manifestationen in Form von Träumen, Phantasien oder neurotischen Symptomen werden nun von Freud unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der Libido - und damit unter einem sexuellen Aspekt - betrachtet.

In der Annahme dieser spezifischen psychischen Energie verknüpften sich nun wiederum der naturwissenschaftliche und der triebmythologische Aspekt, die Freuds Auffassungen des Problems der Sexualität kennzeichnen. Soweit die Libido - wie etwa ab 1920 - als die dem Eros zukommende Energie begriffen wird, handelt es sich dabei um eine Kraft, die das Leben erhält und die lebende Substanz zum Eingehen übergreifender Bindungen befähigt. Die Libido bindet die destruktive Energie der aggressiven Triebe, die Freud unter dem Begriff Todestrieb zusammenfaßt. Der naturwissenschaftliche Aspekt, den die Libidotheorie enthält, verbindet sich mit evolutionistischen und energetischen Denkmodellen, die Freud aus zeitgenössischen Vorstellungen (insbesondere Herbarts und Fechners) über den psychischen Organismus übernahm (vgl. Ellenberger 1970). In der Libidotheorie hatte Freud ein Konzept gefunden, mit dessen Hilfe er seinen Anspruch einzulösen vermeinte, eine Psychologie auf naturwissenschaftlicher Grundlage zu erstellen. Bis zuletzt hielt Freud an diesem Anspruch fest. Noch im «Abriß der Psychoanalyse» wiederholte er sein Anliegen, «die Psychologie zu einer Naturwissenschaft wie jede andere auszugestalten» (1940, 80).

Man wird Freuds Konzept der Sexualität jedoch keinesfalls gerecht, wenn man den im engeren Sinne naturwissenschaftlichen Aspekt einseitig betont. So ist es fraglich, ob man Freuds Konzept der Sexualität als «psychohydraulische(s) Modell» (Schmidt 1975, 31) beschreiben kann. Zwar spricht Freud von Triebreizen, die im Inneren des Organismus entstehen und nach Abfuhr verlangen; doch entsprechend einfache Vorstellungen, die allenfalls für Freuds frühe Arbeiten typisch sind, werden durch die Annahme des unbewußten Systems, das die Triebrepräsentanzen enthält, erheblich kompliziert, wenn nicht ganz aufgehoben. So ist es ein Kennzeichen des entwickelten psychischen Apparates, daß die Triebenergien nicht unmittelbar abgeführt, sondern zum Teil für immer, zum Teil vorübergehend gebunden bleiben. Weiterhin bezieht sich Freuds Begriff der Abfuhr keineswegs direkt auf den Trieb; dieser erfährt vielmehr komplexe Umformungen, unter deren Voraussetzung Erregungen abgeführt werden. Im Falle der Neurose werden die Erregungen nicht abgeführt, sondern in Symptomen inadäquat und für den psychischen Organismus belastend gebunden. Die Freuds Vorstellungen zum Problem der Verdrängung widersprechen insgesamten der Annahme eines einfachen psychohydraulischen Modells der Sexualität.

Abschließend bleibt festzustellen, daß Freud alle psychischen Erscheinungen unter einem sexuellen Aspekt begreift, «denn wir können kein menschliches Seelenleben glauben, an dessen Aufbau nicht das sexuelle Begehren im weitesten Sinne, die Libido, ihren Anteil hätte, mag dasselbe sich auch weit vom ursprünglichen Ziel entfernt oder von der Ausführung zurückgehalten haben» (Freud 1910 c, 172). Hinsichtlich der von ihm angenommenen umfassenden Bedeutung der Sexualität für das psychische Leben stützt sich Freud auf Vorstellungen, die in der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches vorweggenommen worden sind (vgl. E1lenberger 1970). Freud selbst weist auf die Identität vieler seiner Konzepte mit den Vorstellungen der genannten Philosophen hin (Freud 1914 a). Hinsichtlich der Realität des Triebes heißt es etwa bei Nietzsche: «Gesetzt, daß nichts anderes als real <gegeben> ist als unsre Welt der Begierden und Leidenschaften, daß wir zu keiner andern (Realität) hinab oder hinauf können als gerade zur Realität unserer Triebe - denn Denken ist nur ein Verhalten dieser Triebe zueinander -: ist es nicht erlaubt, den Versuch zu machen und die Frage zu fragen, ob dies Gegebene nicht ausreicht, um aus seinesgleichen auch die sogenannte mechanistische (oder <materielle>) Welt zu verstehen?» (1886 -zit. n. GW 1967, 38).

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Sexualität und Eros

Etwa in der Zeit zwischen 1912 und 1915 steht im Mittelpunkt der Neurosenlehre Freuds der Gegensatz zwischen Sexualtrieben und Ichtrieben (bzw. Selbsterhaltungstrieben). Die Auffassung der Sexualität, die man aus diesem Triebmodell extrahieren kann, ist durch ein zunächst befremdlich erscheinendes Merkmal gekennzeichnet: Sexualität kann zur Gefahr, genauer: zu einer die Organisation des Ich bedrohenden Gefahr werden.

Freud hatte zwar zu dieser Zeit das «Ich» als eine der drei psychischen Instanzen noch nicht systematisch dargestellt - dies geschah erst einige Zeit später (Freud 1923 b); doch in seiner Schrift «Zur Einführung des Narzißmus» (1914 b) deutet er später differenziert ausgearbeitete Konzepte bereits an. Das Ich entwickelt sich nach demnach durch Hemmung, Bindung und Neutralisation (vgl. Hartmann 1964) der nach dem Primärvorgang ablaufenden Erregungen. Zum anderen entwickelt es sich auf Kosten libidinöser, ursprünglich den Objekten zugewandter Besetzungen, wie Freud nach Einführung des endgültigen Strukturmodells der psychischen Persönlichkeit schreibt: «Zu Uranfang ist alle Libido im Es angehäuft, während das Ich noch in der Bildung begriffen oder schwächlich ist. Das Es sendet einen Teil dieser Libido auf erotische Objektbesetzungen aus, worauf das erstarkte Ich sich dieser Objektlibido zu bemächtigen und sich dem Es als Liebesobjekt aufzudrängen sucht. Der Narzißmus des Ich ist so ein sekundärer, den Objekten entzogener» (1923 b, 275).

Das Ich, das die Aufgaben der Triebsteuerung und Realitätsbeachtung zu erfüllen hat, kommt also auf Kosten ursprünglich im Es ablaufender Erregungsprozesse und zum Teil auf Kosten aufgelassener Objektbeziehungen zustande. Darüber hinaus ist seine Differenzierung aus dem Es Ausdruck der Not des Lebens und «ein Schritt zur Selbsterhaltung» (Freud 1926, 229). Entfiele der Kampf um Selbstbehauptung, der von der herrschenden Realität erzwungen wird, käme, folgt man Freuds Argumentation, höchstens ansatzweise ein Ich zustande. Die Ich-Triebe beachten die Realität, sie haben frühzeitig gelernt «sich der Not zu fügen und ihre Entwicklungen nach den Weisungen der Realität einzurichten» (Freud 1916-17, 368). Die Sexualtriebe aber widersetzen sich - im Falle der Neurose zeitlebens (bzw. solange die Neurose besteht) - «der Unterordnung unter die Realität der Welt» (1916-17, 445). Das «lockere Verhältnis zur äußeren Realität» (1916-17, 370), mit dem sich die Sexualität des Menschen begnügt, stellt die Integrität des Ich in Frage. Die von der Sexualität ausgehende Gefahr besteht also in der ungenügenden Beachtung der Realität; die ungenügend gebändigten Triebe beeinträchtigen die Herrschaft des Ich.

Nachdem Freud die Instanz des Es (1923 b) näher beschrieben hatte, wurde deutlich, daß er eine vollständige und endgültige Bändigung des Trieblebens bei keinem Menschen als gegeben annahm. Im Es existieren - auch bei funktionsfähigem Ich - die archaischen Triebimpulse weiter, die sich nach Auffassung Freuds mit der herrschenden Realität nicht vereinbaren lassen. «Das Es gehorcht dem unerbittlichen Lustprinzip» (1940, 128). Es beachtet die Realität nicht, hat überhaupt keine Beziehung zur Realität. Es repräsentiert die ungebändigten, von Freud im anthropologischen Sinne verstandenen «ungezähmten Leidenschaften» des Menschen (1933, 83). Würde der psychische Organismus sich ausschließlich nach den im Es geltenden Regeln richten, so kämen weder der Aufbau des Ich noch die Fähigkeit zur Selbsterhaltung, noch eine adäquate Beziehung zur Realität zustande.

Eine der frühesten und wichtigsten Aufgaben des seelischen Apparates besteht daher darin, die im Es nach den Regeln des Primärvorgangs ablaufenden Erregungen zu binden, den Primärvorgang durch den Sekundärvorgang zu ersetzen. Damit gehen nach beiden Richtungen - Lust wie Unlust – primäre und das heißt: intensive Erlebnisweisen verloren. Es «erscheint … denn ganz unzweifelhaft, daß die ungebundenen, die Primärvorgänge, weit intensivere Empfindungen nach beiden Richtungen ergeben als die gebundenen, die des Sekundärvorgangs» (Freud 1920, 68) Die Leidenschaftlichkeit des Menschen steht nach Freud also in enger Beziehung zu den Primärvorgängen, während sich die vernünftige Beachtung der Realität, das Realitätsprinzip, den Sekundärvorgängen verdankt. Der Verlust an affektiver und emotionaler Intensität, den Freud insbesondere im Zusammenhang mit dem Sexualleben des «Kulturmenschen» annimmt, ist damit dem «Vernünftigwerden» des Menschen und dem Aufbau des Ich parallel zu setzen. Dieser Verlust ist es auch, der das von Freud postulierte «Unbehagen in der Kultur» (1930) verständlich werden läßt. Dieses Unbehagen kommt weniger durch den einen oder anderen Verzicht auf diese oder jene explizit sexuelle Aktivität zustande, vielmehr durch den grundsätzlichen Verzicht auf unmittelbare - d. h. nach dem Primärvorgang ablaufende - Erregungsabfuhr, womit gleichzeitig der Verlust primärer Erlebnisqualitäten verbunden ist.

Die Sexualtriebe widersetzen sich, wie erwähnt, solange wie möglich ihrer Bändigung - d. h. der Bindung der primären Erregungsabläufe. «Das Lustprinzip bleibt ... noch lange Zeit die Arbeitsweise der schwer ... <erziehbaren> Sexualtriebe, und es kommt immer wieder vor daß es, sei es von diesen letzteren aus, sei es im Ich selbst, das Realitätsprinzip zum Schaden des ganzen Organismus überwältigt» (Freud 1920, 6). Damit ist die von den Sexualtrieben ausgehende Gefahr der Überwältigung des Ich, womöglich gar der Rücknahme seines Aufbaus, bezeichnet.

Ein zweiter Aspekt, warum nach Auffassung Freuds die Sexualität als Gefahr interpretiert werden kann, ist eng mit dem soeben genannten verbunden. Die Sexualtriebe sind - wie die Triebe überhaupt - konservativer Natur: Sie beinhalten eine Tendenz zur Regression und damit zur Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustandes. Die reife Psychosexualität des Erwachsenen ist somit der latenten Gefährdung der Rückbildung zur infantilen Sexualität ausgesetzt, wobei eine Reihe besonderer Faktoren, die in einem späteren Abschnitt noch zu nennen sein werden, in besonders hohem Maße zu einer möglichen Rückbildung beitragen kann. Wichtig bleibt vorerst, daß die Sexualität des Menschen nach Freuds Ansicht zutiefst mit der Vergangenheit verbunden ist, mit der infantilen, prähistorischen, ja, sogar animalischen Vorgeschichte des Menschen und mit dem Unbewußten, für das vergangenes wie gegenwärtiges Erleben erscheint, da es keine Zeitvorstellungen kennt.

Freud (1920) selbst vergleicht seinen zum Eros erweiterten Begriff der Sexualität einmal mit dem Platonischen Mythos, der von einem ursprünglich mann-weiblichen Geschlecht berichtet. Danach wurde dieses Geschlecht in der Vergangenheit von Zeus getrennt und seither streben die beiden Hälften nach Wiedervereinigung, nach Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands. In diesem Zwang zur Wiederholung, zur Regression, kann aber eine latente Gefährdung des Ich bzw. der psychischen Integrität gesehen werden. Soweit das Individuum an die Vergangenheit, im spezifischen Falle an die inzestuösen Liebesobjekte, fixiert bleibt, kann es sich nur unzureichend an die gegenwärtige Realität anpassen, scheitert es im spezifischen Fall bei der nach der Reife zu treffenden Objektwahl. Freud selbst charakterisiert den Koitus einmal als einen Versuch der Wiedervereinigung mit der Mutter (1933, 94), wobei er sich an Vorstellungen von Rank (1924) anlehnt. Der Koitus als Ersatz der Wiedervereinigung mit der Mutter, die Fixierung an die inzestuösen Liebesobjekte, die Tendenz zur Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustands, all diese Vorstellungen zeichnen die Sexualität des Menschen als einen Bereich aus, der nur schlecht in die gegenwärtige «vernünftige» Realität zu integrieren ist.

Zu jener Zeit, als Freud vom Gegensatz zwischen Sexualtrieben und Selbsterhaltungstrieben ausging, schreibt er an einer Stelle: «Der Urkonflikt, aus welchem die Neurosen hervorgehen, ist der zwischen den das Ich erhaltenden und den sexuellen Trieben» (1909, 410). Die Sexualtriebe zeichnen sich nun aber nicht nur durch die genannten Momente aus, die zu einer Gefahr für das Ich werden können; sie zielen per se über das Individuum hinaus. Ihr Ziel ist in letzter Konsequenz nicht die Erhaltung des Individuums, geschweige denn die des Ich, vielmehr dienen sie der Arterhaltung. In diesem Sinn wird das Individuum von Freud als ein Mittel zum Zweck - zum Zweck der Arterhaltung - begriffen. Die von Freud getroffene «Unterscheidung von Ichtrieb und Sexualtrieb …, die uns mit der biologischen Doppelstellung des Einzelwesens, welche seine eigene Erhaltung wie die der Gattung anstrebt, übereinzustimmen scheint» (1911, 311), legt also nahe, die Sexualität des Menschen als ein die Erhaltung der Gattung intendierendes Phänomen zu begreifen, wobei die individuell erlebte «Lust» als Prämie und die Erhaltung des Individuums als notwendiger Zwischenschritt auf dem Weg zum Ziel aufzufassen wären.

Im Triebmodell, das vom Gegensatz zwischen Sexualtrieben und Selbsterhaltungstrieben ausgeht, erscheint die Sexualität vor allem noch als eine archaische, das Ich oder die Ich-Grenzen sprengende und - unter ungünstigen Umständen – die Neurose fördernde Kraft. Streben nach Lust unter Mißachtung der Realität ist typisch für die Sexualtriebe. Insofern die Sexualtriebe aber auch schon in diesem Triebmodell mit der Funktion der Arterhaltung verbunden werden, sind sie durch Momente gekennzeichnet, die später den Eros besonders auszeichnen. Eros ist eine lebenserhaltende, auf Vereinigung der lebenden Substanz abzielende Kraft. In Freuds Begriff garantiert Eros die Erhaltung der Art, ja die Erhaltung des Lebens überhaupt. Im Triebmodell, das Freud etwa ab 1920 vertritt, in dem er von einem Gegensatz zwischen Eros und Thanatos ausgeht, erhält Eros also eine sehr viel freundlichere Charakterisierung als die Sexualtriebe im früheren Triebmodell. Eros erscheint jetzt als «pazifizierte» Gestalt der ursprünglich archaischen Sexualität. Er dient jetzt dazu, die Aggressions- und Destruktionsneigungen des Menschen in Schach zu halten, die für die Gefährdung der der individuellen wie kollektiven Existenz verantwortlich gemacht werden.

Über die zwischen dem Eros und den Destruktionsneigungen des Menschen bestehenden Beziehungen schreibt Freud: «Einen Anfangsstand stellen wir uns in der Art vor, daß die gesamte verfügbare Energie des Eros, die wir von nun ab Libido heißen werden, im noch undifferenzierten Ich-Es vorhanden ist und dazu dient, die gleichzeitig vorhandenen Destruktionsneigungen zu neutralisieren» (1940, 72). Freud verbindet hier naturwissenschaftliche Vorstellungen von der Libido mit dem philosophischen und triebmythologischen Auffassungen. Der Eros wird nun identisch mit der im weitesten Sinne verstandenen Liebe: «Den Kern des von uns Liebe Geheißenen bildet natürlich, das man gemeinhin Liebe nennt, ... die Geschlechtsliebe mit dem Ziel der geschlechtlichen Vereinigung. Aber wir trennen davon nicht ab, was auch sonst an dem Namen Liebe Anteil hat, einerseits die Selbstliebe, andererseits die Eltern- und Kindesliebe, die Freundschaft und die allgemeine Menschenliebe, auch nicht die Hingebung an konkrete Gegenstände und an abstrakte Ideen» (1921, 98).

Gemäß früherer Triebtheorie ist die ungebändigte archaisch-infantile Sexualität «allein dem Lustprinzip unterworfen, an die Vergangenheit des Menschen in mehrfachem Sinne geknüpft, schwer <erziehbar>». Sie steht «nach den Gesetzen des Primärvorgangs funktionierend und unaufhörlich von innen das Gleichgewicht des psychischen Apparates bedrohend» (Laplanche und Pontalis 1967, dt. Ausg., 472) deshalb im Widerspruch zur Realität.

Demgegenüber kann Eros in der späteren Triebtheorie als eine Form der gebändigten Sexualität verstanden werden. Insofern Eros das Leben erhält und gegen die Todestriebe schützt, insofern er auf die Vereinigung der lebenden Substanz und die Fortsetzung des Lebens abzielt, ist Eros als eine auf die Zukunft gerichtete Kraft zu verstehen. Eros erscheint damit als die zielgehemmte Gestalt der archaischen Triebimpulse. Dieser zielgehemmte (von ursprünglichen Zielen abgelenkte) Trieb befähigt zu überdauernden Bindungen an Menschen oder Ideen, zur Liebe.

Man kann Freuds späte Auffassungen vom Eros auch als den Ausdruck einer Verschiebung des Interesses weg von der infantilen Sexualität und hin zur reifen Psychosexualität des Erwachsenen interpretieren. Diese zeichnet sich durch eine weitgehende Überwindung der infantilen Sexualität aus, als deren wichtigstes Ergebnis die Fähigkeit zur überdauernden Bindung an ein nach der Pubertät zu wählendes Sexualobjekt angesehen werden kann. Damit ist aber die Überwindung der infantilen Sexualität nach Freuds Ansicht aufs engste mit der Ablösung von den inzestuösen Liebesobjekten verbunden. Erst die Zielhemmung der auf die primären Liebesobjekte gerichteten libidinösen Strebungen ermöglicht das Eingehen einer erfolgreichen postpubertären Objektbeziehung. Die Ablösung von den inzestuösen Liebesobjekten stellt aber das Kernproblem des von Freud angenommenen Ödipuskomplexes dar. Ob diese Ablösung gelingt - oder wie im Falle der Neurose mißlingt -, erweist sich allerdings noch nicht in der ödipalen Situation selbst, sondern erst in der Pubertät.

Betrachtet man die Entwicklung von der infantilen Sexualität bis zur psychosexuellen Reife unter dem Gesichtspunkt der Objektwahl, so läßt sich die von Freud angenommene Zweizeitigkeit der sexuellen Entwicklung wie folgt darstellen:

  • erste Objektwahl (= inzestuöse Liebesobjekte)

  • «Objektverlust» (= Aufgeben der inzestuösen Liebesobjekte, Transformation der damit verbundenen libidinösen Objektbesetzungen, d. h. Bewältigung des Ödipuskomplexes)

  • zweite Objektwahl (= postpubertäre Objektwahl, die zum Teil als «Wiederfindung» bzw. als Reproduktion der infantilen Objektwahl aufgefaßt werden kann).

Dieses Schema wird zwar durch eine Reihe von Faktoren kompliziert, wie im folgenden noch zu diskutieren sein wird, läßt aber den Grundgedanken Freuds hinsichtlich des Problems der Objektwahl erkennen.

Am Ausgangspunkt jeder späteren Objektwahl steht nach Ansicht Freuds für beide Geschlechter die Beziehung zwischen Mutter und Kind. Hierbei ist unter der Bezeichnung «Mutter» nichtnotwendig die biologische Mutter zu verstehen, sondern diejenige Person, die die primitiven animalischen Bedürfnisse des Kindes hinsichtlich Nahrungsversorgung, Körperpflege und affektiver Zuwendung befriedigt. Besonderes Gewicht liegt hinsichtlich dieser frühen «Objektbeziehung» - die insofern nach Freud noch keiner tatsächlichen Objektbeziehung entspricht, als hier Subjekt und Objekt noch nicht als im psychischen Sinne getrennt angenommen werden - auf der Objektkonstanz. Darunter ist zu verstehen, daß nach Möglichkeit während der ersten Lebensjahre eine dauerhafte und ungestörte Beziehung des Kindes zu ein und demselben Liebesobjekt, der «Mutter» also, besteht. Während dieser Phase übernimmt das Kind das mütterliche «Basis-Introjekt» (Lincke 1971), das gleichzeitig die innerste Grundlage seiner späteren Ich-Identität darstellt. Wird die Beziehung zur Mutter allerdings nicht zunehmend und altersadäquat umgestaltet, wird sie in symbiotischer Form aufrechterhalten, so können die spätere Selbständigkeit und Autonomie gestört oder verhindert werden.

Behauptet Freud (1905 a), der Autoerotismus bilde den Ausgangspunkt der psychosexuellen Entwicklung, so zeichnet er zum anderen von der Beziehung zwischen Mutter und Säugling, die durchaus sexuell gefärbt ist, ein Bild, das der Annahme eines ursprünglichen Autoerotismus direkt zu widersprechen scheint (Spitz 1965). «Die Liebe der Mutter zum Säugling, den sie nährt und pflegt, ist etwas weit Tiefgreifenderes als ihre spätere Affektion für das heranwachsende Kind. Sie ist von der Natur eines voll befriedigenden Liebesverhältnisses, das nicht nur alle seelischen Wünsche, sondern auch alle körperlichen Bedürfnisse erfüllt, und wenn sie eine der Formen des dem Menschen erreichbaren Glückes darstellt, so rührt dies nicht zum mindesten von der Möglichkeit her, auch längst verdrängte und pervers zu nennende Wunschregungen ohne Vorwurf zu befriedigen. In der glücklichen jungen Ehe verspürt es der Vater, daß das Kind, besonders der kleine Sohn, sein Nebenbuhler geworden ist, und eine tief im Unbewußten wurzelnde Gegnerschaft gegen den Bevorzugten nimmt von daher ihren Ausgangspunkt» (Freud 1910 c, 187f.). Freud spricht an dieser Stelle den Ursprung des Ödipuskomplexes aus der Sicht des Vaters an. Er verlegt ihn zudem in eine Zeit, die noch weit vor der eigentlichen Ödipusphase liegt. Diese zeitliche Anordnung entspricht auch dem Verlauf des antiken Ödipus-Mythos. Die von Freud angenommene Feindschaft und Eifersucht des Vaters dem Kind (Sohn) gegenüber provoziert dem­nach dessen spätere feindselige Impulse dem Vater gegenüber.

Hinsichtlich des Problems der Objektwahl bleibt, wie Freud noch im «Abriß der Psychoanalyse» (1940) betont, «die einzigartige, unvergleichliche, fürs ganze Leben unabänderlich festgelegte Bedeutung der Mutter als erstes und stärkstes Liebesobjekt, als Vorbild aller späteren Liebesbeziehungen bei beiden Geschlechtern» (1940, 115) erhalten. Das Bild der Mutter als verinnerlichtes, unbewußt erhaltenes «Klischee» steuert und beeinflußt also die spätere Objektwahl. Die nach der Pubertät eintretende «Objektfindung ist eigentlich eine Wiederfindung» (1905 a, 123). Freud geht an manchen Stellen sogar so weit, die postpubertäre Objektwahl im Sinne der Wahl eines «Surrogat(s)» (I912 a, 90) zu interpretieren.

Aufgrund der Bedeutung, die Freud der Beziehung von Mutter und Kind für die spätere Objektwahl bei beiden Geschlechtern zuschreibt, nimmt er auch an, die Entwicklung zur späteren Objektwahl falle dem Knaben leichter als dem Mädchen. Der Knabe/Mann bleibe im «Normalfall» an der Mutter/Frau orientiert, während das Mädchen/die Frau das Geschlecht des Sexualobjektes wechseln müsse, wenn sie eine heterosexuelle Partnerwahl treffen wolle.

Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, daß Ausbildung und Entwicklung der psychosexuellen Geschlechtsidentität, die ja die Richtung der Objektwahl festlegt, beim Knaben/Mann schwieriger verläuft als beim Mädchen/bei der Frau. So nimmt Stoller (1908) an, die Herausbildung einer männlichen Geschlechtsidentität sei schwierigeren Bedingungen unterworfen als die einer weiblichen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Geschlechtsidentität sprechen Money und Ehrhardt von einer erhöhten «psychosexuellen Verletzbarkeit des Mannes»: «Die meisten Paraphilien findet man bei Männern, nicht aber oder nur selten bei Frauen. Dies spricht ... dafür, daß die Natur größere Schwierigkeiten hat, eine männliche Geschlechtsidentität zu differenzieren, als eine weibliche» (1975, 149). Es steht zu vermuten, daß die geringere Schwierigkeit der Herausbildung einer weiblichen Geschlechtsidentität im Zusammenhang damit zu sehen ist, daß das Mädchen nicht - wie der Knabe - seine in der frühen Beziehung zur Mutter erworbene «Weiblichkeit» verdrängen muß, diese vielmehr fortsetzen und weiter entwickeln kann. Der Übergang zur Männlichkeit setzt dagegen beim Knaben einen Distanzierungsprozeß von der in der frühen Beziehung zur Mutter erworbenen Basis-Identifikation voraus. Greenson (1967 - zit. n. Stoller 1968) bezeichnet diesen Vorgang als «dis-identification» (= De-Identifikation).

Zu einem der wichtigsten, die spätere Objektwahl beeinflussenden Faktoren gehört nach Freud die bei jedem Menschen anzunehmende ursprüngliche Bisexualität. Es gibt nach Auffassung Freuds keine «reine» Männlichkeit oder Weiblichkeit (1905 a). Was als solche erscheint, dürfte weitgehend das Produkt der primären Soziali­sation sein, die ihrerseits durch die Institutionalisierung der Geschlechterrollen gestützt und geschützt wird (vgl. Schelsky 1955).

Die reine Homosexualität wie die reine Heterosexualität des späteren Erwachsenen sind nach Ansicht Freuds Ausdruck einer sozial entwickelten «Monosexualität» (1905 a, 40). Im Falle der Homosexualität liegt nach Ansicht Freuds u. a. eine Fixierung an eine spezifische Phase der normalen Entwicklung zur reifen Psychosexualität vor oder es kommt zur Rückkehr zu dieser Phase. Eine entsprechende Regression kann etwa in Folge einer enttäuschenden heterosexuellen Objektbeziehung eintreten. Darüber hinaus ist Freuds Begriff der Homosexualität weniger orientiert am expliziten sexuellen Verhalten, entscheidend ist vielmehr die emotionale Orientierung des Betreffenden: «Nicht die reale Betätigung, sondern die Einstellung des Gefühls entscheidet für uns darüber, ob wir irgendjemand die Eigentümlichkeit der Inversion (Freuds Bezeichnung für Homosexualität - B. N.) zuerkennen sollen» (1910 c, 156). 

Die spätere Heterosexualität des Erwachsenen ist also das Produkt einer normgerecht durchlaufenen psychosexuellen Entwicklung, in deren Verlauf die bei jedem Menschen anzunehmenden homosexuellen Strebungen einer anderen Verwendung zugeführt werden. «Sie treten nun mit Anteilen der Ichtriebe zusammen, um mit ihnen als <angelehnte> Komponenten die sozialen Triebe zu konstituieren, und stellen so den Beitrag der Erotik zur Freundschaft, Kameradschaft, zum Gemeinsinn und zur allgemeinen Menschenliebe dar» (1911, 297). Diesen Gedanken führt Freud in seiner Schrift «Massenpsychologie und Ich-Analyse» (1921) weiter aus. Die Herausbildung von Massen, d. h. von größeren, durchaus strukturell organisierten Gruppen, wie sie beispielsweise die Kirche oder das Heer darstellen, beruht zum Teil auf der Verwertung ursprünglich homosexueller Strebungen. Dieser Gedanke ist auch grundlegend für Freuds Annahmen über die Entstehung der menschlichen Gemeinschaft (Gesellschaft), die Freud in seiner Arbeit «Totem und Tabu» (1913 b) darstellt.

«Im allgemeinen schwankt der Mensch sein Leben lang zwischen heterosexuellem und homosexuellem Fühlen, und Versagung oder Enttäuschung von der einen Seite pflegt ihn zur andern hinüberzudrängen» (1911, 281). Also auch bei explizit heterosexueller Objektwahl besteht eine homosexuelle Tendenz latent. Sie kann im Falle von realen Enttäuschungen manifest werden. Die latente Homosexualität - der im Falle der Neurose besonders symptombildende Kraft zukommt - ist aber nicht nur das Erbe der ursprünglich anzunehmenden menschlichen Bisexualität. Sie ist auch als Abkömmling der infantilen gleichgeschlechtlichen Objektwahlen zu begreifen, bzw. erfährt durch diese eine entsprechende Verstärkung. Da im Normalfall jeder Mensch durch Objektbeziehungen zu beiden Geschlechtern/Elternteilen sozialisiert wird, bleiben Niederschläge und damit verbundene Triebwünsche aus beiden Arten von Beziehungen erhalten. Freud spricht daher vom «vollständigen Ödipuskomplex» (1923 b, 202) nur unter Einbeziehung der Bisexualität, d. h. unter Berücksichtigung bei der sexueller Objektwahlen zum Zeitpunkt der infantilen Frühblüte der Sexualität. Der Vater tritt beispielsweise dem Knaben gegenüber nicht nur als Rivale, sondern auch als Liebesobjekt, das sexuell begehrt wird, auf. Entsprechende Verhältnisse sind beim Mädchen hinsichtlich der Mutter zu erwarten. Beim späteren Neurotiker besteht nach Auffassung Freuds eine konstitutionell besonders stark ausgeprägte Bisexualität, die dann die für jeden Menschen anzunehmende Ödipusproblematik noch verschärft.

Der Gedanke einer Zielhemmung homosexueller Triebimpulse entspricht analogen Überlegungen, die Freud hinsichtlich der auf die inzestuösen Liebesobjekte gerichteten sinnlichen Strömung allgemein anstellt. Auch diese sinnliche Strömung wird zielgehemmt und damit im Normalfall an ihrem direkten Ausdruck gehindert: «Die dem Ödipuskomplex zugehörigen libidinösen Strebungen werden zum Teil desexualisiert und sublimiert, … zum Teil zielgehemmt und in zärtliche Regungen verwandelt» (1924, 399). Die Zielhemmung der auf die inzestuösen Liebesobjekte gerichteten sexuellen Strebungen stellt dann nach Ansicht Freuds die Grundlage der späteren Liebe dar. «Die Vergeistigung der Sinnlichkeit heißt Liebe ... » (Nietzsche 1889 - zit. n. G.W. 1967, 343).

Der Gedanke einer Zielhemmung nicht realisierbarer Triebwünsche ist schließlich grundlegend für Freuds Sublimationstheorie, wonach die dem ursprünglichen Triebziel zugewandte libidinöse Energie auf andere, kulturell akzeptierte Ziele übertragen werden kann. Freud nimmt an, daß gerade die Zielhemmung eines Triebes oder Triebanteils zur dauerhaften Bindung führt, während der Trieb, der sich un­mittelbar befriedigen kann, über kurz oder lang das Interesse am Objekt verliere.

Aus den bisherigen Erörterungen der die Objektwahl beeinflussenden Faktoren geht bereits hervor, daß die frühe Beziehung zwischen Mutter und Kind zwar von entscheidender Bedeutung ist, nicht aber die einzig ausschlaggebende Bedingung darstellen kann. Alle wichtigeren Objektbeziehungen der frühen Kindheit determinieren bis zu einem gewissen Grade die späteren Objektbeziehungen des Erwachsenen. «Schon in den ersten sechs Jahren der Kindheit hat der kleine Mensch die Art und den Affektton seiner Beziehungen zu Personen des nämlichen und des anderen Geschlechts festgelegt, er kann sie von da an entwickeln und nach bestimmten Richtungen umwandeln, aber nicht mehr aufheben. Die Personen, an welche er sich in solcher Weise fixiert, sind seine Eltern und Geschwister. Alle Menschen, die er später kennenlernt, werden ihm zu Ersatzpersonen dieser ersten Gefühlsobjekte» (1915 a, 206 - Herv.: B. N.). Damit ist aber gleichzeitig gesagt, daß ein gewisses Maß an unbewußter «Fixierung» der Libido an die ursprünglichen Liebesobjekte bei allen Menschen, nicht nur beim späteren Neurotiker, anzunehmen ist. Außerdem belegt diese Auffassung die große Bedeutung, die Freud der frühen Kindheit für das spätere Schicksal des Erwachsenen beimißt.

Von der frühen Beziehung zur Mutter bis zur Ödipussituation werden also die späteren Objektbeziehungen weitgehend vorbereitet und auch festgelegt. Im Ödipuskomplex «gipfelt die infantile Sexualität, welche durch ihre Nachwirkungen die Sexualität des Erwachsenen entscheidend beeinflußt. Jedem menschlichen Neuankömmling ist die Aufgabe gestellt, den Ödipuskomplex zu bewältigen; wer es nicht zustande bringt, ist der Neurose verfallen» (1905 a, 127, Anm.2). Das will heißen, daß Freud die Neurose als eine unvollkommene oder überhaupt nicht zustande kommende Lösung von den inzestuösen Liebesobjekten begreift. Der Ödipuskomplex wurzelt aber seinerseits in der Beziehung zur Mutter, denn an die «Wahl der Mutter zum Liebesobjekt knüpft ... alles an, was unter dem Namen des <Ödipuskomplexes> zu so großer Bedeutung gekommen ist ...» (1916-17, 341).

Freuds Bild der Beziehung zwischen Mutter und Kind enthält gewiß eine sehr «romantische» Färbung. Auch seine Theorie einer «glücklichen Liebe», deren Vorbild die Beziehung zur Mutter abgibt, erinnert an romantische Vorstellungen der Wiederherstellung eines glücklichen, aber verlorenen Urzustandes. Insbesondere der Mangel an adäquaten emotionalen und sozialen Beziehungen während der Kindheit, wobei nicht nur die Beziehung zur Mutter diesbezüglich eine Rolle spielt, kann das spätere sexuelle Verhalten des Erwachsenen, das aus dem affektiv-emotionalen Kontext ja nicht zu lösen ist, beeinflussen und stören (Spitz 1965; Bowlby 1951). Es ist anzunehmen, «daß jede Störung dieser Kindheitsbeziehungen die schwersten Folgen für das Sexualleben nach der Reife zeitigt ... » (Freud 1905 a, 130).

Nun muß sich der angesprochene Mangel nicht notwendig im tatsächlichen Fehlen eines oder beider Elternteile ausdrücken. Er kann auch dann bestehen, wenn beide Eltern vorhanden sind, die notwendige affektive Zufuhr aber unterbleibt. Deren Fehlen kann sich auch in kaschierter Form ausdrücken. Während das Kind auf einer tieferen emotionalen Ebene abgelehnt wird, wird es gleichzeitig auf einer zweiten, mehr äußerlichen Ebene mit übertriebener Zuwendung bedacht Diese Überzärtlichkeit kann dann Ausdruck einer latenten Feindseligkeit gegen das Kind sein. Prugh und Harlow (1962) sprechen in diesem Zusammenhang von maskierter emotionaler Deprivation, die auch bei äußerlich intakter Eltern-Kind-Beziehung bestehen kann.

Nachdem Freud das Konzept des Narzißmus eingeführt hatte (Fremd 1914 b), gab er zu erkennen, daß eine spätere Objektwahl nicht nur nach dem Leitbild der Mutter, d. h. nach dem «Anlehnungstyp» erfolgen kann. Diesem Typus der Objektwahl stellt Freud jetzt die «narzißtische» Objektwahl» gegenüber. Im Falle einer narzißtischen Objektwahl liebe man «streng genommen nur sich selbst» (1914 b, 155). Man liebt dabei das Liebesobjekt gerade um der Züge willen, die man an sich selber oder an seinem Ideal schätzt. Wesentlich am Anlehnungstyp der Objektwahl ist, daß man selbst aktiv liebt, während man beim Typus der narzißtischen Objektwahl geliebt werden will. Die Frage soll hier offen bleiben, ob die von Freud beschriebene Objektwahl nach dem narzißtischen Typus nicht bereits als Ergebnis emotionaler Deprivation - in offener oder versteckter Form - während der Kindheit aufzufassen sei.

Wenn insbesondere die Mutter, aber auch die übrigen Objektbeziehungen während der Kindheit vorbildhaften Charakter für die Objektwahlen des späteren Erwachsenen besitzen, so zeigt sich in dieser Annahme wiederum der bereits angesprochene «regressive» Zug, den die Sexualität des Menschen besitzt. Diese regressive Komponente hat neben Freud vor allem Ferenczi (1922) betont. Nach Ferenczi ist der Geschlechtsakt als ein Ersatz des Wunsches aufzufassen, in den Mutterleib zurückzukehren,. Dieser Gedanke findet sich, wie bereits erwähnt, auch bei Freud. Wenn Freud allerdings davon spricht, die Vagina trete «das Erbe des Mutterleibes an» (1923 c, 298), so ist diese Annahme weitgehend einer Sicht des Koitus durch den Mann verpflichtet. Es wird bei Freud nicht weiter ausgeführt, inwieweit entsprechende Annahmen auch in für die Frau zutreffen.

Nun geht Freud nicht davon aus, daß jede spätere heterosexuelle Objektbeziehung tatsächlich das ursprüngliche Vorbild wieder erreicht, einen vollgültigen Ersatz der einst zwischen Mutter und Kind bestehenden Beziehung, also eine «glückliche Liebe» darstellt. Er schildert - beispielsweise in seiner Arbeit «Zur Einführung des Narzißmus» (1914 b) - den späteren Erwachsenen vielmehr im Sinne eines relativ abgeschlossenen psychischen Systems. Die im Verlauf der Reife etablierten Ich-Grenzen stehen einer Transzendierung des Ich, die Voraussetzung einer «glücklichen Liebe» wäre, entgegen. Das psychische System, das den Erwachsenen charakterisiert, beschreibt Freud mit Hilfe des bekannten Bildes vom «Protoplasmatierchen», das sich dem Objekt mit Hilfe der «von ihm ausgeschickten Pseudopodien» (1914 b, 141) annähert. Freud verwendet dieses Bild auch noch in späteren Schriften (1917; 1940). Er will damit zum Ausdruck bringen, daß die Libido sich nur sehr begrenzt und nur unter der Bedingung, ins Subjekt/Ich zurückgenommen werden zu können, auf das Objekt richtet. Nur im Falle der Verliebtheit werde, so meint Freud, die Grenze zwischen Subjekt und Objekt vorübergehend aufgelöst. Dies entspricht dem frühinfantilen Vorbild der Beziehung zwischen Mutter und Kind. Die Auflösung der Ich-Grenzen ist denn auch nach Freud Kennzeichen sowohl der Verliebtheit als auch tiefer, psychotischer Störungen, die einer Regression auf frühinfantile Stadien der Entwicklung entsprechen. Der Verliebte verhalte sich wie der Psychotiker, meint Freud, wenn er leugne, daß zwischen Ich und Du eine Grenze bestehe, und sich benehme, als seien Ich und Du eins (Freud 1930). Hier nähert sich Freud, ohne dies zu erkennen, der Ich-Theorie von Paul Federn.

Das Ausmaß, in welchem sich der Erwachsene dem Liebesobjekt öffnet, in welchem er seine Libido dem postpubertären Objekt zuwenden kann, hängt nach Freud davon ab, wieweit unbewußte Fixierungen an die infantilen Objekte gelöst worden sind, wieweit also Libido überhaupt «frei beweglich» ist und damit für neue Objektbesetzungen zur Verfügung steht. Beim Neurotiker ist die freie Beweglichkeit der Libido stark eingeschränkt. Neurotische Objektwahlen zeichnen sich deshalb vor allem dadurch aus, daß das gewählte Liebesobjekt im schlechten Sinne «Ersatz» der ursprünglichen Liebesobjekte ist, also eine Ersatzfunktion erfüllt, während im tieferen Sinne nach wie vor die infantilen Objekte intendiert werden (vgl. Freud 1910 b; 1912 a).

Eine erfolgreiche Objektwahl nach der Pubertät setzt also eine weitgehende Ablösung von den Eltern voraus. Dabei steht der Pubertierende «vor der Aufgabe, seine Libido von den Eltern abzuziehen und neue Objekte außerhalb der Familie zu besetzen. Dabei ist ein gewisses Maß von Trauer um den Verlust der alten Objekte unvermeidlich» (Freud, A. 1964, 81).

Die Ablösung der Libido von den infantilen Objekten kann aus verschiedenen Gründen erschwert sein oder ganz mißlingen. Einer dieser Gründe kann in einer inadäquaten «Sexualisierung» des Kindes gesehen werden. Dabei wird das Kind von einem Elternteil als Partnerersatz verwendet. Freud geht wiederholt auf das Problem der Wahl des Sohnes als Partnerersatz für die Mutter ein. Eine entsprechend frühzeitige und inadäquate Sexualisierung des Kindes, die unbewußt erfolgen kann, ist nach Auffassung Freuds typisch für Fälle einer unbefriedigenden Ehe: «Die von ihrem Manne unbefriedigte neuroti­sche Frau ist als Mutter überzärtlich und überängstlich gegen das Kind, auf das sie ihr Liebesbedürfnis überträgt, und weckt in demselben die sexuelle Frühreife. Das schlechte Einverständnis zwischen den Eltern reizt dann das Gefühlsleben des Kindes auf, läßt es im zartesten Alter Liebe, Haß und Eifersucht intensiv empfinden» (1908 a, 165). Mit dieser inadäquaten Emotionalisierung und Sexualisierung werden die im Zusammenhang mit dem Ödipuskomplex relevanten Probleme erheblich verschärft. Die Gefahr einer zu weitgehenden Fixierung der Libido ist unter dieser Bedingung besonders groß.

Aber auch eine repressive Sexualmoral, die dem Pubertierenden die jetzt notwendigen neuen Objektbeziehungen erschwert oder unmöglich macht, behindert die Ablösung von den Eltern und verstärkt eine nachträgliche inzestuöse Bindung. Können nach der Pubertät keine befriedigenden Objektbeziehungen eingegangen werden, so besteht dir Gefahr, daß die inzestuösen Liebesobjekte auf regressivem Wege neu besetzt werden. Diesen Gedanken führt Freud bereits in seiner 1908 erschienenen Arbeit «Die <kulturelle> Sexualmoral und die moderne Nervosität» aus. Freud greift die sexuelle Unterdrückung und Zwangsabstinenz auch als solche an, er erkennt als deren wesentliches Moment aber die zwangsweise Fixierung an die inzestuösen Objekte. Ohnehin ist der «Kultur» nach Auffassung Freuds ganz allgemein vorzuwerfen, daß sie die Entwicklung zur reifen Psychosexualität erheblich erschwert. Entwicklungshemmung und psychischer Infantilismus - gerade auch auf sexuellem Gebiet - sind nach Ansicht Freuds bis zu einem gewissen Grad für alle «Kulturmenschen» typisch.

Freud lehnt in diesem Zusammenhang auch eine zu lange fortgesetzte Masturbation nach der Pubertät ab. Dabei wendet er sich nicht gegen die Selbstbefriedigung an sich oder gegen eine zeitweise notwendige und zu tolerierende «Not-Onanie». Kommt es aber nach der Pubertät über lange Zeit hinweg zur Masturbation, so können die inzestuösen Liebesobjekte nicht verlassen werden. Sie werden vielmehr in der Phantasie neu besetzt. Dabei wendet sich der Trieb gleichzeitig von der Außenwelt ab. «Es ändert nichts an dem Sachverhalt, wenn der Fortschritt (zur Objektwahl - B. N.) nun in der Phantasie vollzogen wird, der in der Realität mißglückt ist, wenn in den zur onanistischen Befriedigung führenden Phantasiesituationen die ursprünglichen Sexualobjekte durch fremde ersetzt werden. Die Phantasien werden durch diesen Ersatz bewußtseinsfähig, an der realen Unterbringung der Libido wird ein Fortschritt nicht vollzogen. Es kann auf diese Weise geschehen, daß die ganze Sinnlichkeit eines jungen Menschen im Unbewußten an inzestuöse Objekte gebunden, oder, wie wir auch sagen können, an unbewußte inzestuöse Phantasien fixiert wird» (1912 a, 81f).

Freud begreift die Masturbation nach der Pubertät als ein Stück der «infantilen Sexualbetätigung» (1912 c, 341). Ihre Gefahr besteht in der «Fixierung infantiler Sexualziele» und in der «psychischen Vorbildlichkeit» (1912 c, 342). Unter psychischer Vorbildlichkeit ist zu verstehen, daß in den die Masturbation begleitenden Phantasien Wünsche aktiviert und Idealisierungen vorgenommen werden, die im realen Kontakt zum Liebesobjekt nicht einzulösen sind oder aber einem späteren realen Liebesobjekt einen Platz zuweisen, der in der Phantasie bereits abgesteckt worden ist. Das reale Liebesobjekt wird dann zum Ersatzobjekt, und in der Beziehung zu ihm werden nur mehr die infantilen Klischees wiederholt, während neuer Kontakt weitgehend ausgeschlossen bleibt. Psychosexuelle Reife drückt sich dagegen darin aus, daß Phantasien durch vollgültige, reale Beziehungen abgelöst werden bzw. in ihnen aufgehen.

Nun haben die sexuellen Phantasien in der Pubertät allerdings nicht nur den von Freud angesprochenen negativen Aspekt. Sie sind vielmehr auch Ausdruck der Geschlechtsidentität des Betreffenden und können - je nach ihrem Inhalt - auch als Zeichen einer erfolgreich durchlaufenen sexuellen Sozialisation verstanden werden. «Die erotischen Phantasien in der Pubertät sind sozusagen ein Kernstück der Geschlechtsidentität. Sie machen klar, was sich vorher nur andeutete: Sie bestätigen die Geschlechtsidentität eines Jugendlichen als männlich, weiblich oder uneindeutig und widersprüchlich und lassen erkennen, ob und inwieweit paraphile Tendenzen bestehen oder nicht. Die Inhalte dieser Phantasien sind weder bei Jungen noch bei Mädchen durch die Pubertätshormone bedingt; sie werden aber durch diese Hormone aktiviert. Die Phantasien werden unter dem Einfluß der Hormone häufiger, länger, lebendiger und führen nun regelmäßiger zu sexueller Erregung und Orgasmus. Diese Phantasien, die sich in der Pubertät als sexuell stimulierend erweisen, haben ihren Ursprung sehr früh in der Lebensgeschichte, lange vor der Pubertät» (Money, Ehrhardt 1975, 150). Nicht das Vorhandensein sexueller Phantasien ist Ausdruck einer psychosexuellem Entwicklungshemmung, sondern der psychische Stellenwert, den diese Phantasien, die zu sexueller Erregung und Orgasmus führen, einnehmen, und das Maß, in dem sie sich von der Realität abkehren, können als Ausdruck der Infantilität begriffen werden.

Ein letztes Moment, das für die Objektwahl und die Entwicklung zur reifen Psychosexualität von Bedeutung ist, kann hier nur kurz an­gesprochen werden. In Freuds später Triebtheorie, die von einem Gegensatz zwischen den auf Bindung abzielenden Sexualtrieben (Eros) und den auf Zerstörung abzielenden Destruktionstrieben (Thanatos) ausgeht, wird von einer Triebmischung gesprochen. Psychosexuelle Reife würde sich demnach darin ausdrücken, daß die libidinösen Triebe die destruktiven binden und neutralisieren können. Kommt es zu einer Triebentmischung, verselbständigen sich also die aggressiv-destruktiven Triebe, ist ein hoher Grad von Ambivalenz in den Objektbeziehungen zu erwarten. Es werden dann auf das Sexualobjekt, weitgehend unverbunden und nebeneinander bestehend, sowohl libidinöse als auch aggressiv-destruktive Impulse gerichtet. Reife Psychosexualität zeichnet sich aber gerade durch eine entsprechend geringere Ambivalenz aus. Das heißt, es fehlen stärkere Ausprägungen von Konkurrenz und Dominanzstreben und die bei Vorliegen von zu hoher Ambivalenz reaktiv notwendige Abwehr, die sich sowohl auf libidinöse als auch auf destruktive Impulse beziehen kann. Eine entsprechende Auffassung der reifen Psychosexualität, die gleichzeitig als das Fundament einer integrierten Gesamtpersönlichkeit verstanden werden kann, vertritt Hettlinger (1970). Von anderen Autoren, wie beispielsweise Winnicott, werden allerdings divergierende Vorstellungen vertreten.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der von Freud angenommene Prozeß der Entwicklung zur reifen Psychosexualität einer Vielzahl möglicher Störungen ausgesetzt ist und nach Freuds Auffassung in der Regel auch nie in idealer Weise durchlaufen wird. Dabei wird die psychosexuelle Reife von Freud nicht begriffen als ein jemals endgültig zu erreichendes Resultat, sie bleibt vielmehr auch dann, wenn sie genug etabliert ist, der Gefahr einer Rückbildung ausgesetzt.

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Die infantile Sexualität

Die infantile Sexualität, wie sie Freud in den «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» (1905 a) darstellt, zeichnet sich durch eine extrem «analytische» Interpretation aus. Nach Freud ist die infantile Sexualität kein in sich abgeschlossenes und einheitliches Phänomen, sie zerfällt vielmehr in zahlreiche Komponenten («Partialtriebe»), ist an unterschiedliche «erogene Zonen» gebunden und durchläuft verschiedene, bei jedem Menschen anzunehmende «Phasen».

Die «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» zerfallen in die Abschnitte über «sexuelle Abweichungen» (Perversionen), über die «infantile Sexualität» und über die «Umgestaltungen der Pubertät», also über die Veränderungen, die die Sexualität zur Zeit der Reife erfährt. Es wird durch Freuds Argumentation aber klar, daß das in den «Abhandlungen» erörterte Kernproblem die infantile Sexualität darstellt. In den sexuellen Abweichungen drückt sich nach Auffassung Freuds weitgehend psychischer Infantilismus aus, während die Umgestaltungen in der Pubertät im wesentlichen durch die Schicksale der infantilen Sexualität vorbereitet und determiniert werden.

Die sexuellen Deviationen unterteilt Freud nach Objekt und Ziel, eine Unterscheidung, die er von Krafft-Ebing (1886) übernimmt. Überschreitungen hinsichtlich des Objektes sieht Freud in der Homosexualität und in der Wahl von Kindern und Tieren als Sexualobjekten. Auffassungen über Abweichungen in Bezug auf das Sexualziel (z. B. Cunnilingus, Fellatio oder Fetischismus, die Freud als sexuelle Abirrungen begreift), lassen erkennen, wie stark Freud trotz aller aufklärerischen Intentionen an zeitbedingte Moralvorstellungen gebunden blieb.

Dennoch sieht Freud keine scharfe Grenze zwischen den Deviatio­nen und der normalen Sexualität gegeben. Beide sind zur Zeit der infantilen Sexualität noch gar nicht voneinander zu trennen. Das Kind ist «polymorph pervers» veranlagt, seine Sexualität steht nicht im Zeichen der Fortpflanzungsfunktion. Der Verzicht auf die Fortpflanzung als eigentlichem Ziel der menschlichen Sexualbetätigung, wie er im Falle der Perversionen vorliegt, ist denn auch das inhaltlich übereinstimmende Merkmal zwischen infantiler Sexualität einerseits und devianten sexuellen Verhaltensweisen andererseits. Aber, so bemerkt Freud, die Perversion zeichne sich normalerweise durch die Tyrannis eines Partialtriebes aus, der das gesamte sexuelle Verhalten des Betreffenden beherrscht und zentriert, während eine entsprechende Organisation beim Kind nicht vorliege, weshalb der Vergleich zwischen Perversion und infantiler Sexualität nur eingeschränkte Gültigkeit besitze.

Erst durch die Erziehung werden beim Kind «seelische Dämme» errichtet - Freud nennt hier die Moral, die Scham und den Ekel -, die allerdings nicht nur restriktive Bedeutung haben. Sie tragen vielmehr auch dazu bei, die reife, heterosexuell orientierte und auf Fortpflanzung ausgerichtete Psychosexualität des Erwachsenen vorzubereiten. Auch der Erwachsene besitzt in der Regel eine organisierte und zentrierte Form der Sexualität, die sich durch den Primat der Genitaltät auszeichnet. Diese Organisation wird durch den Verzicht auf eine Reihe von ursprünglichen Triebzielen erworben und durch Moral, Scham und Ekel in ihrem Bestand gesichert. Im Zustand der Verliebtheit werden die kulturell bedingten Hemmungen allerdings teilweise und vorübergehend wieder aufgehoben; Moral, Scham und Ekel werden durch die «libidinöse» Überschätzung des Sexualobjektes» eingeschränkt. Diese Barrieren haben die Funktion, die sozialen Beziehungen der Menschen zu entsexualisieren, während sie beim Eingehen leidenschaftlicher Beziehungen teilweise suspendiert werden.

Die Sexualität des Neurotikers kennzeichnet Freud vor allem durch drei Merkmale: (1) Weiterbestehen einer noch dezentrierten, infantilen Sexualität; (2) Vorherrschen perverser, wenngleich unbewußter oder nur in der Phantasie ausgelebter Triebimpulse; (3) Bestehen einer starken Verdrängung von Triebimpulsen, die eine Realisierung entsprechender Wünsche auf der Handlungsebene in sozialen Beziehungen unmöglich macht und zur neurotischen Abwehr, zum neurotischen Konflikt und damit verbunden zur psychischen Abspaltung führen kann. Triebe und Triebanteile, die in dieser Weise abgespalten werden, können in den vom Ich gesteuerten psychischen Integrationszusammenhang nicht mehr aufgenommen werden und unterliegen damit einer Entwicklungshemmung. Je umfassender die Verdrängung ausfällt, desto größer muß also der Bereich werden, der auf diese Weise infantil bleibt.

Der Verdrängungsprozeß setzt an den verschiedenen psychosexuellen Phasen an, die jeder Mensch zu durchlaufen muß und deren Bewältigung von jedem Menschen ein Stück Triebverzicht erfordert, soll die durch die Erziehung angestrebte «Kulturfähigkeit» erreicht werden. Allerdings ist zu weitgehende Verdrängung kein zur Reife prädestinierender psychischer Mechanismus, vielmehr wird durch diesen Mechanismus die notwendige Triebsteuerung durch das Ich (Einsicht) unmöglich. Die der Verdrängung unterliegenden Triebe und Triebanteile bleiben unsozialisiert, archaisch, in ursprünglicher Form im unbewußten System erhalten - und damit potentiell bedrohlich..

In den verschiedenen psychosexuellen Phasen steht jeweils eine erogene Zone im Vordergrund des sexuellen Interesses des Kindes, und damit verbunden gewinnt der jeweilige Partialtrieb vorübergehend Dominanz. Außerdem werden in den einzelnen Phasen grundlegende Polaritäten herausgebildet, die für das spätere sexuelle Leben des Erwachsenen kennzeichnend sind. Während der oralen Phase, die noch ganz von der Beziehung zwischen Mutter und Kind bestimmt wird, bilden sich die grundlegenden Fundamente der späteren Ich-Organisation. Diese Phase steht damit im Zeichen der Polarität von Subjekt und Objekt, bzw. ermöglicht eine erste Differenzierung hinsichtlich dieser Polarität. In der sadistisch-analen Phase steht nach Auffassung Freuds die Polarität «aktiv-passiv», in der phallischen Phase der Gegensatz «männlich-kastriert» im Vordergrund. Erst mit Erreichen der Pubertät bildet sich die Polarität «männlich-weiblich» endgültig heraus; heute würde man sagen: findet die psychosexuelle Geschlechtsidentität ihren endgültigen Ausdruck (vgl. Freud 1923 c).

Der Sexualtrieb ist zunächst autoerotisch und findet seine erste Betätigung in Anlehnung an die lebenswichtige körperliche Funktion des Saugens an der Mutterbrust. Damit tritt der Mund als erogene Zone während der oralen Phase in den Vordergrund. In der analen Phase kommt dem Stuhlgang besondere Bedeutung zu, womit der Anus zur dominierenden erogenen Zone wird.

Ein Höhepunkt der infantilen Sexualität wird schließlich während der prägenitalen Phase erreicht. Freud spricht deshalb von prägenitaler Phase, weil hier das Primat der Genitalität noch nicht umfassend verankert ist. Er kennzeichnet diese Phase auch als die phallische, weil hier der Phallus bzw. die Klitoris als korrespondierendes Organ - und damit die «männliche» Sexualität bei beiden Geschlechtern - im Mittelpunkt des sexuellen Interesses stehe. Diese infantile Sexualität nähert sich schon weitgehend der Sexualität des Erwachsenen an, vor allem deshalb, weil das Kind in der jetzt eintretenden Ödipussituation bereits eine - sexuell zu interpretierende - Objektwahl trifft: «Die Annäherung des kindlichen Sexuallebens an das der Erwachsenen geht viel weiter und bezieht sich nicht nur auf das Zustandekommen einer Objektwahl. Wenn es auch nicht zu einer richtigen Zusammenfassung der Partialtriebe unter das Primat der Genitalien kommt, so gewinnt doch auf der Höhe des Entwicklungsganges der infantilen Sexualität das Interesse an den Genitalien und die Genitalbetätigung eine dominierende Bedeutung, die hinter der in der Reifezeit wenig zurücksteht. Der Hauptcharakter dieser <infantilen Genitalorganisation> ist zugleich ihr Unterschied von der endgültigen Genitalorganisation der Erwachsenen. Er liegt darin, daß für beide Geschlechter nur ein Genitale, das männliche, eine Rolle spielt. Es besteht also nicht ein Genitalprimat, sondern ein Primat des Phallus» (1923 c, 294f). An diese Annahme knüpft Freuds Behauptung des «Penisneides» an, den er dem Mädchen unterstellt, eine Behauptung, die vielfach kritisiert und als Ausdruck männlichen Chauvinismus interpretiert worden ist (vgl. z. B. Millett 1970). Auch Freuds Annahme, die Dominanz der Klitoris bei der erwachsenen Frau sei Ausdruck eines Festhaltens an der infantilen Sexualität und mit dem Wunsch nach «Männlichkeit» verbunden, ist im Kontext von Freuds Theorie der phallischen Phase zu interpretieren und ebenfalls wiederholt als Ausdruck einer zu einseitigen oder falschen Interpretation der weiblichen Sexualität kritisiert worden (vgl. z. B. Sherfey 1972).

Auf dem Höhepunkt der infantilen Sexualität muß das Kind dann einsehen, daß es das gewünschte Sexualobjekt - im Regelfall den gegengeschlechtlichen Elternteil - nicht für sich gewinnen kann. Damit kommt die infantile Sexualentwicklung zum Stillstand, «der in den kulturell günstigsten Fällen den Namen einer Latenzzeit verdient. Die Latenzzeit kann auch entfallen, sie braucht keine Unterbrechung der Sexualbetätigung und der Sexualinteressen auf der ganzen Linie mit sich bringen» (Freud 1916-17, 337f).

Die Bedeutung der von Freud angenommenen Latenzzeit liegt also darin, daß während dieser Zeit der Beruhigung der sexuellen Interessen des Kindes die Libido des Kindes von den Eltern allmählich abgelöst werden kann. Ob dies, die Bewältigung des Ödipuskomplexes, gelingt, zeigt sich dann aber erst beim Erreichen der Pubertät. Die nach der Pubertät zu treffende Objektwahl erweist dann auch, ob die psychosexuellen Phasen erfolgreich durchlaufen worden sind. Ist dies der Fall, so ist der Autoerotismus weitgehend überwunden und die Partialtriebe - Schau- und Zeigelust, sadistische und masochistische Komponenten - sind unter dem Primat der Genitalität zusammengefaßt worden. Die Vorherrschaft einzelner erogener Zonen wird damit endgültig gebrochen. Allerdings bleibt fraglich, ob beim Kind tatsächlich eine derart eindeutige Konzentration auf einzelne erogene Zonen anzunehmen ist, wie Freud dies behauptet. Im «Abriß der Psychoanalyse» bemerkt er nämlich, eigentlich sei «der ganze Körper eine solche erogene Zone» (1940, 73). Dies dürfte bei dem auf sinnlichen Kontakt zur Umwelt noch besonders stark angewiesenen Kind in besonderer Weise zutreffen.

Die Lehre der psychosexuellen Phasen hat in der psychoanalytischen Forschung eine noch weit differenziertere Ausgestaltung erfahren, als hier referiert worden ist (z. B. bei Abraham 1949). Es ist auch versucht worden, spezifische neurotische Störungen mit Traumen und Konflikten in einer jeweils spezifischen psychosexuellen Phase in Verbindung zu bringen. Entsprechend einfache Reduktionsmodelle werden jedoch heute nur noch als Teilhypothesen zur Erklärung psychischer Krankheit herangezogen. Weiterhin hat die Annahme der psychosexuellen Phasen zu Hypothesen hinsichtlich der Charakterentwicklung geführt. Je nachdem, in welcher psychosexuellen Phase der Betreffende aufgrund konstitutioneller oder akzidenteller Momente mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten konfrontiert werde, entwickle sich reaktiv hierzu seine Charakterstruktur. Bei Freud heißt es über den «Charakter» in allgemeiner Form: «Was wir den <Charakter> eines Menschen heißen, ist zum guten Teil mit dem Material sexueller Erregungen aufgebaut und setzt sich aus seit der Kindheit fixierten Trieben, aus durch Sublimierung gewonnenen und aus solchen Konstruktionen zusammen, die zur wirksamen Niederhaltung perverser, als unverwendbar erkannter Regungen bestimmt sind» (1905 a, 140 f). Freuds Schüler Wilhelm Reich (1933) hat sich mit den Beziehungen zwischen Sexualität, Abwehr und Charakterbildung besonders ausgiebig auseinandergesetzt.

Die in den «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» (1905 a) dargestellte Sicht der infantilen Sexualität ist, so kann man abschließend zusammenfassen, zergliedernd und analysierend. Durch dieses Vorgehen konnte Freud Verbindungen zwischen Erschei­nungen aufzeigen, die zuvor weitgehend als schroffe, unverbundene Gegensätze angesehen wurden. So erklärte Freud:

  • die Sexualität des Erwachsenen aus der infantilen Sexualität, die im 19. Jahrhundert noch weitgehend geleugnet oder als Degenerationserscheinung interpretiert worden ist;

  • die Homosexualität und Heterosexualität als Ausdrucksformen einer ursprünglich anzunehmenden Bisexualität;

  • die Perversionen und Neurosen als miteinander durch Entwicklungshemmung verbundene Schicksale der infantilen Sexualität;

  • das «abnorme» und «normale» Sexualverhalten als nicht grundsätzlich voneinander getrennt.

Freud war nun aber keineswegs der erste Wissenschaftler, der sich eingehender mit Problemen der Sexualität beschäftigte. Freuds Abhandlungen zur Sexualtheorie erschienen inmitten einer Vielzahl von Arbeiten zum Problem der Sexualität, die ab 1880 immer zahlreicher wurden. Das wissenschaftliche Interesse am Thema Sexualität gehörte zum Zeitgeist. Offenbar waren die einschlägigen Arbeiten zum Thema so bekannt, daß Freud in den «Abhandlungen» die entsprechenden Autoren - Krafft-Ebing, Moll, Moebius, Ellis, Schrenck-Notzing, Löwenfeld. Eulenburg, Bloch und Hirschfeld - nur schlagwortartig nennt und hinzufügt, «da an diesen Stellen auch die übrige Literatur des Themas aufgeführt ist, habe ich mir detaillierte Nachweise ersparen können» (1905 a, 33, Anm. 1). Freud kann also keineswegs als erster oder gar einziger Autor aufgefaßt werden, der sich mit dem Problem der Sexualität wissenschaftlich beschäftigt und engagiert für sexuelle Aufklärung eingesetzt hätte (vgl. Ellenberger 1970). So erschien im gleichen Jahr wie Freuds «Abhandlungen» «Die sexuelle Frage» von Auguste Forel (1905), der als Direktor am Zürcher «Burghölzli» Vorgänger von Eugen Bleuler war.

Im 18. Jahrhundert hatte vor allem die Frage der Masturbation in der wissenschaftlichen Literatur zum Problem der Sexualität eine Rolle gespielt. Man war darum bemüht, alle möglichen körperlichen und geistigen Leiden auf die Masturbation zurückzuführen (Bekker 1710; Tissot 1764). Im 19. Jahrhundert stand dann das Problem der Perversionen im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses (z. B. Kaan 1844; Moreau 1880), und man argumentierte vielfach, Perversionen seien als Degenerationserscheinungen aufzufassen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und mit Beginn des 20. Jahrhunderts bemühte man sich zunehmend, das Problem der Sexualität unter weniger ideologischen Voraussetzungen abzuhandeln. Dabei wurde - wie bei Freud - die bürgerliche Moral selbst zum Gegenstand der Kritik, nachdem sie zuvor noch oft als impliziter Bestandteil der «wissenschaftlichen» Theorien erschienen war. 1889 gründete Magnus Hirschfeld die erste Fachzeitschrift für Sexualforschung, das «Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen». 1906 prägte Iwan Bloch im deutschen Sprachraum den Begriff «Sexualwissenschaft» (nach Wettley und Leibbrand 1959). Moll hatte «Untersuchungen über die Libido sexualis» (1898) veröffentlicht, ein Werk, aus dem Freud nach eigenen Angaben den Terminus Libido übernehmen konnte. Die Theorie der Bisexualität des Menschen war schließlich bereits von Weininger (1903) und vor dem Erscheinen der «Abhandlungen» Freuds populär. Freud konnte sich also auf eine Fülle von Material beziehen, das unabhängig von der psychoanalytischen Forschung erarbeitet worden war.

Als wichtigsten Beitrag Freuds zur zeitgenössischen Sexualforschung muß man wohl seine Auffassung der infantilen Sexualität und der ihr zugeschriebenen determinierenden Kraft für die reife Psychosexualität des Erwachsenen anerkennen. Freud verknüpfte diese Bedeutung der infantilen Sexualität im Zuge der sich mehr und mehr entfaltenden psychoanalytischen Theorie mit allgemeinen Annahmen über die Kindheit, die weit über den Problembereich der Sexualität hinausreichten. Als besonderes Merkmal der «Kindheit» erschienen die Prägbarkeit und Beeinflußbarkeit, denen das Kind unterliegt. So können infantile Erlebnisse und Eindrücke, die im Unbewußten verankert sind, über Jahrzehnte hinweg das Verhalten determinieren, ohne daß der Betreffende diese Basis-Motivation zu erkennen braucht. Entsprechende Erlebnisse müssen nach Freud nicht notwendig eine unmittelbare Wirkung zeigen, diese kann vielmehr erst nach einer Periode der Latenz eintreten.

Die Annahme einer Latenzphase, die Freuds Auffassung der menschlichen Sexualentwicklung auszeichnet, kehrt deshalb auch in Freuds allgemeiner Neurosenlehre wieder. In seiner Arbeit «Der Mann Moses und die monotheistische Religion» (1937-39) - in der letzten großen Schrift, die zu Freuds Lebzeiten erschienen ist - faßt Freud noch einmal zusammen, «daß die Genese der Neurose überall und jedesmal auf sehr frühe Kindheitseindrücke zurückgeht» (1937-39, 177 - Herv.: B. N.). Für den Verlauf der Neurose wird folgendes allgemeines Schema aufgestellt: «Frühes Trauma - Abwehr - Latenz - Ausbruch der neurotischen Erkrankung - teilweise Wiederkehr des Verdrängten» (1937-39, 185). Das ist genau das Schema, das Freud für die menschliche Sexualentwicklung annimmt: Infantile Sexualität - Abwehr archaischer und primitiver Triebimpulse - Latenz - Pubertät (= erneuter «Ausbruch» der Sexualität) - teilweise Wiederkehr der infantilen Sexualität (etwa im Zusammenhang mit der Objektwahl). 

Wie eng Freud die Verbindung zwischen seinen Annahmen über die Sexualentwicklung des Menschen einerseits, seinen Annahmen zur Entstehung der Neurosen andererseits selbst sieht, geht auch aus dem Aufbau der «Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse» (1916-17) hervor. Hier widmet er dem Problem der Sexualität - im Unterschied zu den Themen «Fehlleistungen» und «Traum» - keinen eigenständigen Abschnitt, vielmehr gliedert er die Ausführungen zur Sexualität in den dritten Teil der «Vorlesungen», in die allgemeine Neurosenlehre, ein.

In den folgenden Abschnitten werden abschließend weitere Gesichtspunkte der «Kindheit», der «Animalität» und der «Kultur» des Menschen erörtert, die dann noch genauer erkennen lassen, warum Freud solch enge Beziehungen zwischen Sexualität und Neurose angenommen hat.

5

Das Problem der «Kindheit»

Freud schrieb 1920, im Vorwort zur vierten Auflage der «Abhandlungen», diese hätten überhaupt nicht geschrieben werden müssen, «verstünden es die Menschen, aus der direkten Beobachtung der Kinder zu lernen» (1905 a, 32). In dieser vielleicht etwas überpointierten Formulierung kommt die Bedeutung zum Ausdruck, die Freud der Kindheit beimißt. Man könnte die gesamte psychoanalytische Theorie, soweit sie von Freud selbst stammt, interpretieren als einen groß angelegten Versuch, zu rekonstruieren, was unter Kindheit zu verstehen sei und wie deren Folgen sich im psychischen Leben des Erwachsenen manifestieren. Dabei wäre «Kindheit» allerdings sowohl im ontogenetischen wie auch im phylogenetischen Sinne zu begreifen; auf die von Freud angenommenen Wechselbeziehungen zwischen beiden Formen der Kindheit wird im Abschnitt über die «Animalität» des Menschen noch zurückzukommen sein.

Die Gegensätze von Primärvorgang und Sekundärvorgang, Affekt und Vernunft, Unbewußtem und Bewußtem, Es und Ich, Traum und Wachleben, schließlich von infantiler Sexualität und reifer Psychosexualität des Erwachsenen reflektieren die angenommene Ausgangs­fragestellung. Die Kindheit des Menschen im anthropologischen Sinne wird bei Freud durch die Annahme einer archaischen Triebkonstitution repräsentiert, der dann die später zu erreichende «Kulturfähigkeit» des Erwachsenen gegenübersteht. Auch hier sind Parallelen zur Philosophie Nietzsches unverkennbar. Wittels (1931) hat darauf hingewiesen, daß die für die psychoanalytische Theorie grundlegende Einteilung in primäre und sekundäre Funktion mit Nietzsches (1872) Einteilung in Dionysisches und Apollinisches Prinzip  übereinstimmt. Das Dionysische Prinzip repräsentiert bei Nietzsche den Rausch, die Archaik der Triebe, denen eine eigene Form der Vernunft zukommt, also die Transzendenz des Ich und weitere Merkmale, die von Freud dem unbewußten System, bzw. dem Es zugeschrieben werden.

Im «Traum» wird der Mensch nach Auffassung Freuds wieder zum Kind, arbeitet der psychische Apparat im wesentlichen nach der primären Funktion. Auch das «Spiel» benutzt das Kind dazu, sich dem Druck der vernünftigen Realität zu entziehen. Andererseits ist es das Ziel der Erziehung, beim Kind einen zweckgerichteten, identischen Charakter zu erreichen, die Fähigkeit aufzubauen, Wunsch und Wirklichkeit, Phantasie und Realität zu unterscheiden, kurz, die Realität zu beachten. Dabei wird das Kind großen «Einschränkungen» (Freud 1905 b, 141) unterworfen, «und darum ist die Auflehnung gegen den Denk- und Realitätszwang eine tiefgreifende und lang anhaltende» (1905 b, 141). Nicht nur die Sexualität im engeren Sinne widersetzt sich ihrer realitätsgerechten Umformung, bleibt also schwer erziehbar, sondern das Vernünftig- und Erwachsenwerden überhaupt und die damit verbundenen Umgestaltungsprozesse fordern nach Freud Widerstand heraus. Der Traum und die Phantasie bleiben dann als Reste der einstigen «Freiheit» erhalten; sie entziehen sich dem Realitätszwang.

Also auch bei einem erfolgreichen Durchlaufen des Erziehungsprozesses bleibt das Ursprüngliche, das Infantile, bis zu einem gewissen Grade erhalten. Es bleibt in den tiefsten Schichten der Persönlichkeit verankert. Von hier aus sind Freuds Hypothesen über das Unbewußte zu verstehen: «Das Infantile ist nämlich die Quelle des Unbewußten, die unbewußten Denkvorgänge sind keine anderen, als welche im frühen Kindesalter einzig und allein hergestellt werden» (1905 b, 194).

Beim «normalen» Erwachsenen sind diese infantilen psychischen Phänomene vielfach überlagert und umgeformt und daher kaum noch direkt beobachtbar. Erst unter der Voraussetzung einer spezifischen Methode - eben der psychoanalytischen - können diese Vorgänge wieder zu neuer Aktivität angeregt und dann auch erkannt werden. «Leichter zu fassen sind die Charaktere dieser unbewußten Denkvorgänge in den Äußerungen der Kranken bei manchen psychischen Störungen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir nach des alten Griesinger Vermutung imstande wären, die Delirien der Geisteskranken zu verstehen und als Mitteilungen zu verwerten, wenn wir nicht die Anforderungen des bewußten Denkens an sie stellen, sondern sie mit unserer Deutungskunst behandeln würden wie etwa die Träume. Auch für den Traum haben wir ja seinerzeit die <Rückkehr des Seelenlebens auf den embryonalen Standpunkt> zur Geltung gebracht» (1905 b, 194f).

Wichtig für die von Freud aufgestellten Hypothesen hinsichtlich des Übergangs von der infantilen Sexualität zur Psychosexualität des Erwachsenen sind nun einige der Auffassungen Freuds über die Qualität des Unbewußten. Es geht dabei um die tatsächlich vorgefallenen Ereignisse sowie um die Art und Weise, in der sie vom Kind erlebt worden sind. Hier wären auch die von Freud behauptete Unzerstörbarkeit und Unvergänglichkeit der im unbewußten System festgehaltenen Eindrücke - seien sie ontogenetischer oder phylogenetischer Abkunft – zu berücksichtigen. «Es ist sogar eine hervorragende Besonderheit unbewußter Vorgänge, daß sie unzerstörbar bleiben. Im Unbewußten ist nichts zu Ende zu bringen, ist nichts vergangen oder vergessen» (1900, 583). Da aber die infantile Sexualität zunächst noch ganz mit dem unbewußten System und den Primärvorgängen verbunden ist, wird von hier aus erklärbar, wieso Freud gerade den infantilen sexuellen Erlebnissen und den in ihnen enthaltenen Objekten einen derart starken, die Sexualität des Erwachsenen determinierenden Einfluß zuschreibt.

Denn die infantilen Triebwünsche «stellen für alle späteren seelischen Bestrebungen einen Zwang dar» (1900, 609). Und weiterhin können «die primitiven Zustände immer wieder hergestellt werden; das primitive Seelische ist im vollsten Sinne unvergänglich» (1915 f, 337). Wiederholungszwang und Regression sind aber ihrerseits, wie bereits gezeigt, eng mit Freuds Auffassungen der Sexualität verbunden. Hinsichtlich der Gefahr der Regression in Verbindung mit der Sexualität heißt es bei Freud: «Aus der infantilen Sexualität geht die normale des Erwachsenen hervor durch eine Reihe von Entwicklungsvorgängen, Zusammensetzungen, Abspaltungen und Unterdrückungen, welche fast niemals in idealer Vollkommenheit erfolgen und darum die Disposition zur Rückbildung der Funktion in Krankheitszuständen hinterlassen» (1913 a, 409).

Aber nicht nur im Krankheitsfall, sondern auch im Normalfall kommt es im «Liebesleben» des Erwachsenen zur Wiederbelebung infantiler Momente. Wiederbelebt werden nach Freud vor allem die Gefühlsrelationen, die im Zusammenhang mit der Ödipussituation eine Rolle spielten. Zu jener Zeit war das Kind bereits «ein bis auf die Fortpflanzungsfähigkeit fertiges Liebeswesen» (1907 a, 22). Es zeigte die für seine Entwicklungsgeschichte typischen psychischen Leistungen der Zärtlichkeit, der Hingabe, der Eifersucht und des Hasses, eben die psychischen Phänomene, die nach Freud beim Erwachsenen nicht neu auftreten, vielmehr als Wiederholungen zu interpretieren sind. Entsprechende Wiederholungen wurzeln zum Teil in der ontogenetischen Entwicklungsgeschichte des Individuums, zum Teil aber auch in der prähistorischen Vorzeit der Art und reichen letztlich bis in die animalische Vergangenheit des Menschen zurück.

Freud sieht das Kind also weder asexuell noch leidenschaftslos; er nimmt im Gegenteil an, daß das Kind zu den stärksten Affekten fähig ist. Damit steht er in deutlichem Widerspruch zur Ideologie vom reinen, liebenswürdigen und unschuldigen Kind. Auch der Auffassung, der an sich «gutartige» Charakters des Kindes werde erst durch schädliche Umwelteinflüsse und Erfahrungen verdorben, widerspricht Freud. Wenn es überhaupt sinnvoll ist, Wertmaßstäbe an das kindliche Verhalten heranzutragen, so kann - nach Meinung Freuds - das Kind hinsichtlich der Durchsetzung seiner Triebwünsche als egoistisch und rücksichtslos gelten. Freud spricht in diesem Sinne von einer «morallosen Kindheitsperiode» (1900, 256), die mit der «polymorph perversen» Veranlagung des Kindes in Beziehung zu setzen wäre. Allgemein stellt Freud über das «primäre Ich», den Charakter des Kindes, fest: «Das Kind ist absolut egoistisch, es empfindet seine Bedürfnisse intensiv und strebt rücksichtslos nach ihrer Befriedigung, insbesondere gegen seine Mitbewerber, andere Kinder, und in erster Linie gegen seine Geschwister» (1900, 256).

In dieser Feststellung ist Freuds Auffassung vom noch nicht gebändigten Trieb, der impulsiv und gewalttätig nach direkter Abfuhr und unmittelbarem Lustgewinn strebt, deutlich zu erkennen. Auch Freuds Annahmen über den fiktiven «Urmenschen» (1913 b) zeigen eine Parallele zu diesem Bild des Kindes. Dennoch betont Freud, es gebe an sich weder einen «guten» noch einen «bösen» Trieb, entsprechend wertende Klassifikationen seien kulturell bedingt: «Die psychologische - im strengen Sinne die psychoanalytische - Untersuchung zeigt ..., daß das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementarer Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. Diese Triebregungen sind an sich weder gut noch böse. Wir klassifizieren sie und ihre Äußerungen in solcher Weise, je nach ihrer Beziehung zu den Bedürfnissen und Anforderun­gen der menschlichen Gemeinschaft. Zuzugeben ist, daß alle Regungen, welche von der Gesellschaft als böse verpönt werden ..., sich unter diesen primitiven befinden» (1915 f, 331 - Herv.: B. N.).

Das Bild vom unschuldigen, leidenschaftslosen und asexuellen Kind, das man vor den «Gefahren» der Welt der Erwachsenen behüten und abschirmen müsse, entstand zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert. Van Ussel (1970, 95) spricht in diesem Zusammenhang von der «Infantilisierung des Kindes». Das Kind wurde in eine eigene, «künstliche», eben infantile Welt eingeschlossen und, soweit es in der bürgerlichen Schicht aufwuchs und für einen länger andauernden Schulbesuch vorgesehen war, losgelöst von der Realität - insbesondere von der Realität der Arbeitswelt - erzogen. « Der Schüler an einer höheren Schule war historisch gesehen das erste <große> Kind … » (van Ussel 1970, 97). Das Kind wurde nun zunehmend verniedlicht und verzärtelt, seine Leidenschaften wurden nicht mehr ernst genommen. Dieser Infantilisierungsprozeß, der weittragende Auswirkungen auf den emotionalen und besonders auf den sexuellen Sozialisierungsprozeß haben musste - Auswirkungen, wie sie dann unter den Stichworten «Entwicklungshemmung» und «psychischer Infantilismus» in Freuds Neurosenlehre beschrieben werden -, griff von der Erziehung des Kindes über auf den Umgang mit Jugendlichen. Die länger gewordene Schul- und Ausbildungszeit prolongierte den Status des «Jungseins». Die Schulen, die sich nach dem Vorbild der Klosterschulen organisiert hatten, existierten jenseits der übrigen gesellschaftlichen Realität. Die Jugendlichen pflegten nun ihre eigenen Ideale und hatten Vorstellungen, die zum Teil erheblich an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbeizielten. «Sturm und Drang» oder die «Romantik» können vor dem Hintergrund dieser Umstrukturierungsprozesse, die mit der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft einhergehen, besser verstanden werden.

In der vorbürgerlichen Gesellschaft war die Kluft zwischen dem Kind und dem Erwachsenen, vor allem was den psychischen Habitus anging, bei weitem nicht so groß, wie zur Zeit Freuds oder auch heute. Nach van Ussel ist diese Kluft, die durch den Infantilisierungsprozeß entstand, dem Kinder und Jugendliche unterworfen wurden, Voraussetzung der psychischen Organisation des «modernen» Menschen. «Auch das sexuelle Verhalten des Schülers und des Studenten wurde infantilisiert. Man widersetzte sich in dieser Hinsicht allem, was man beim Jungen Arbeiter geflissentlich übersah» (van Ussel 1970, 97). In der vorbürgerlichen Gesellschaft wurden die Kinder dagegen noch als «kleine Erwachsene» angesehen, denen man in sexueller Hinsicht dieselben Gefühlsregungen und Begierden zuerkannte wie Erwachsenen. Die Kinder hatten in der häuslichen Gemeinschaft einen Platz inne, der sich vom Status der Erwachsenen nur bedingt unterschied, und sie wurden in einer Umgebung sozialisiert, in der es wenig(er) Trennung zwischen «Heim» und Arbeit gab.

Folgt man van Ussel, dann war die vorbürgerliche Gesellschaft durch prosexuelle Einstellungen und Lebensweisen ausgezeichnet. Die Sexualität des Kindes war noch nicht tabuiert. «Die Körperlichkeit wurde in einer Weise praktiziert, die wir heute verlernt haben. Man berührt sich, streichelt und umarmt sich, küsst sich; Ammen und Eltern masturbieren kleine Kinder, um sie ruhig zu halten. Ältere Menschen haben Kontakte zu Jugendlichen, die wir heute als sexuell bezeichnen würden. Die Selbstbefriedigung wird erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts von Medizinern und viel später von Geistlichen bekämpft. Die vorehelichen geschlechtlichen Beziehungen sind institutionalisiert, desgleichen in einigen Schichten auch der außereheliche Geschlechtsverkehr ... Daheim schläft man nackt, die ganze Familie und die Bediensteten gemeinsam in einem Raum ... Die jungen Menschen brauchen keine sexuelle Aufklärung, da sie aus der Welt der Erwachsenen sehen, fühlen und lernen können, was sie wissen müssen» (1970, 25).

Die Kindheit (einschließlich der Problematik der infantilen Sexualität), die im Werk Freuds als «prähistorische» Epoche erscheint, die verdrängt, vergessen und verloren ist und die mühsam zu rekonstruieren bleibt, dürfte zum Teil das Ergebnis der zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert erfolgten Umstrukturierungsprozesse sein. Die strikte Trennung zwischen der Kindheit einerseits und dem Status des Erwachsenseins andererseits dürfte dem zukünftigen Erwachsenen auf lange Sicht keine Konflikte ersparen, sondern diese im vollen Umfang erst entstehen lassen. Damit verbunden wäre auch die von Freud betonte Ablösungsproblematik, die ja dann verschärft auftreten muß, wenn zwischen der Kindheit und dem späteren Leben des Erwachsenen ein kaum zu überbrückender Gegensatz besteht. Wenn das Kind die Freiheiten der «Unvernunft» genießen kann, der Erwachsene aber vernünftig, diszipliniert, beherrscht zu sein hat und seine Leidenschaften und Affekte kontrollieren muß, wird der «Widerstand» erklärbar, den nach Freud jeder Mensch gegen diesen Umstrukturierungsprozeß zeigt; und zum anderen wird auch verständlich, warum die Kindheit als Vorbild eines «Glückes» verklärt werden kann, das später kaum wieder zu erreichen ist.

6

«Das Unbehagen in der Kultur»

Das von Freud angenommene Unbehagen in der Kultur enthält, wie im vorausgegangenen Kapitel angedeutet, durchaus eine historisch-gesellschaftliche Dimension. Der «Verlust der Kindheit» kann bis zu einem gewissen Grad historisch interpretiert werden. Allerdings erscheint im Werk Freuds die anthropologische Dimension als die wichtigere. Jede Kultur impliziert nach Auffassung Freuds Triebverzicht – und damit eine Überwindung der Kindheit und der «Animalität» des Menschen. Diese notwendigen Verzichtsleistungen kennzeichnen das Schicksal der Sexualität des Kulturmenschen und tragen nach Auffassung Freuds einen wesentlichen Teil zur Neurosenbildung bei. Die Neurose ist nach Freud ohnehin als Preis der Kulturentwicklung aufzufassen. Nachfolgend sollen einige Thesen Freuds zum Problemkreis von Kultur, Neurose und Sexualität dargestellt werden, wobei es unumgänglich sein wird, Freuds Ansichten über die «animalische» Natur des Menschen mit zu berücksichtigen.

In einer allgemeinen Umschreibung kennzeichnet Freud die Kultur durch «all das, worin sich das menschliche Leben über seine animalischen Bedingungen erhoben hat und worin es sich vom Leben der Tiere unterscheidet» (1927, 326). An anderer Stelle heißt es bei Freud, man könne die Kulturentwicklung des Menschen mit der Domestikation gewisser Tierarten vergleichen. Vier wesentliche Folgen ergeben sich aus dieser «Selbst-Domestikation» des Menschen:

  • eine fortschreitende Einschränkung ursprünglicher Triebregungen;

  • eine fortschreitende Verschiebung der Triebziele;

  • ein «Erstarken des Intellekts, der das Triebleben zu beherrschen beginnt» (1933 b, 26);

  • und eine «Verinnerlichung der Aggressionsneigung mit all ihren vorteilhaften und gefährlichen Folgen» (1933 b, 26).

Wenn Freud das Problem des Triebverzichts anspricht, betont er meist, daß sich der kulturell erzwungene Triebverzicht sowohl auf sexuelle wie aggressive Triebwünsche bezieht. Die Einschränkung der Aggression stellt sogar «das erste, vielleicht das schwerste Opfer, das die Gesellschaft vom Einzelnen zu fordern hat» (1933 a, 118), dar.

Grundsätzlich sind vom Triebverzicht Triebimpulse betroffen, die für den «animalischen Urzustand» (1927, 331) charakteristisch sind. Dabei handelt es sich vor allem um die Triebimpulse «des In­zests, des Kannibalismus und der Mordlust» (1927, 331). Da jeder Mensch - zumindest unbewußt - gegen diese Unterdrückung rebelliert, bleibt jeder Mensch «virtuell ein Feind der Kultur» (1927, 327).

Freud nimmt nun einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Sexualität des Menschen und dessen Animalität an, die im Verlauf der Sozialisation zur «Kulturfähigkeit» umgeformt werde. Sexualität und Animalität sind beispielsweise durch das «Exkrementelle» miteinander verbunden. Die Körperausscheidungen und die Sexualität sind weiterhin durch die «Riechlust» miteinander verbunden, die beim Kulturmenschen einer besonders starken Verdrängung unterliegt (1912 a). Bei Freud heißt es zu diesem Problemzusammenhang weiter: «Ganz allgemein möchte ich die Frage aufwerfen, ob nicht die mit der Abkehr des Menschen vom Erdboden unvermeidlich gewordene Verkümmerung der Riechlust einen guten Anteil an seiner Befähigung zu neurotischen Erkrankungen haben kann. Es ergäbe sich ein Verständnis dafür, daß bei steigender Kultur gerade das Sexualleben die Opfer der Verdrängung bringen muß. Wir wissen ja längst, welch inniger Zusammenhang in der tierischen Organisation zwischen dem Sexualtrieb und der Funktion des Riechorgans hergestellt ist» (1909, 462). Aus diesem Zitat geht zweierlei hervor: Zum einen sieht Freud in der Kulturentwicklung eine Abkehr von der ursprünglichen tierischen Vergangenheit des Menschen - die allerdings, wie noch zu zeigen sein wird, im unbewußten System erhalten bleibt; zum anderen führt er aus, daß diese Abkehr womöglich zutiefst mit der Befähigung zur Neurose verbunden ist. Dieser Gedanke, daß sich psychische Krankheit auf die Verdrängung der Animalität zurückführen lasse, findet sich in der Psychiatrie des 17. und 18. Jahrhunderts häufig (vgl. Foucault 1961). Demnach wäre der Wahnsinn als allgemeine Ausdrucksform psychischer Krankheit durch das «Milieu» möglich geworden, durch die «Zivilisation», die zur Entfremdung von der animalischen Natur geführt hat, die dem Menschen ursprünglich zukam. Für Freuds Kulturtheorie wie auch für seine Neurosenlehre ist also ein angenommener prinzipieller Widerspruch zwischen «Natur» und «Kultur» konstitutiv.

Bei aller kultureller Umgestaltung, die die Triebkonstitution des Menschen erfahren hat, erinnern die Genitalien doch weiterhin an die animalische Abkunft des Menschen. «Sie haben die Entwicklung der menschlichen Körperformen zur Schönheit nicht mitgemacht, sie sind tierisch geblieben, und so ist auch die Liebe im Grunde heute ebenso animalisch, wie sie es von jeher war» (Freud 1912 a, 90).

Es ist sicher kein Zufall, daß Freud in diesem Zusammenhang von «Liebe» spricht, also nicht nur die Sexualität im engeren Sinne auf die Animalität des Menschen bezieht. Die Liebe und die mit ihr verbundenen Leidenschaften, Affekte und Gefühle wurzeln nach Auffassung Freuds in der Animalität des Menschen. Diese Annahme vorausgesetzt, muß dann eine zu weit gehende Unterdrückung der animalischen Natur, eine zu umfangreiche Verdrängung des «Triebes», auch zu einer eingeschränkten Liebesfähigkeit führen. Eine Einschränkung der Liebesfähigkeit ist deshalb besonders beim Neurotiker, der stark verdrängt, aber grundsätzlich auch bei jedem Kulturmenschen anzunehmen, der, um geistig «normal» zu bleiben, ebenfalls bis zu einem gewissen Grade, wenngleich in weniger umfassender Form, verdrängen muß.

Der primitive Mensch steht, wie das Kind, der Natur und damit seiner eigenen Animalität näher als der Kulturmensch. Daher muß er, wie Freud in «Totem und Tabu» (1913 b) ausführt, im Vergleich zum Kulturmenschen, der viele Triebwünsche gar nicht mehr wahrnimmt, die der Primitive noch unmittelbar empfindet, auch zu besonders rigiden Abwehrmaßnahmen greifen. Er sucht Zuflucht beim Tabu, um seine soziale Organisation aufrecht zu erhalten (vgl. auch: Freud 1918 b). Andererseits hat der Primitive, wie Freud meint, ein ursprünglicheres und positiveres Verhältnis zur Geschlechtlichkeit. So erweist er den Genitalien mit Hilfe von Fruchtbarkeitsriten (Phalluskult) göttliche Verehrung (Freud 1910 c), während die Genitalien für den Kulturmenschen zum Objekt der Geringschätzung und u. U. sogar des Ekels geworden sind. Ohnehin bestand nach Ansicht Freuds ursprünglich ein sehr enger Zusammenhang zwischen Religion und Geschlechtlichkeit (vgl. Pfürtner 1972). Göttliches und Heiliges seien ursprünglich aus der Geschlechtlichkeit des Menschen extrahiert worden, meint Freud. Im Verlaufe der Kulturentwicklung habe sich dieser Zusammenhang immer mehr aufgelöst, bis der «erschöpfte Rest (der Geschlechtlichkeit - B. N.) der Verachtung verfiel» (1910 c, 167). Ursprünglich, so schreibt Freud in den «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» (1905 a), sei der Trieb verehrt und geheiligt worden, während das Objekt des Triebes weniger gegolten habe und erst durch den Trieb aufgewertet worden sei. Unter der Bedingung der Kulturentwicklung habe sich dieses Verhältnis umgekehrt. Jetzt gelte der Trieb als solcher wenig und werde erst durch das Objekt (die Liebe zum Objekt) erhöht und gewürdigt. Diese durch die Kulturentwicklung eingetretene Abwertung des Triebes kann als Bestandteil der umfassenden Abwertung der Animalität des Menschen verstanden werden.

Wie Freud in der Arbeit «Über die allgemeinste Erniedrigung des Liebeslebens» (1912 a) ausführt, hängt die weit verbreitete Liebesunfähigkeit, die bis zu einem gewissen Grade bei jedem Kulturmenschen anzunehmen sei, mit den durch die Kulturentwicklung geschaffenen Bedingungen zusammen. Zu diesen Bedingungen gehört, wie ausgeführt, die Verdrängung der animalischen Natur. «Psychische Impotenz» ist so gesehen eine der Folgen des durch die Kulturentwicklung erzwungenen Verdrängungsprozesses. Denn die Beeinträchtigung der Potenz und der Fähigkeit zum Orgasmus beruhen auf der Unterdrückung der Affekte. Sexuelle Aktivitäten laufen beim Kulturmenschen also unter eingeschränkter emotionaler Beteiligung ab. Freud geht in der zitierten Arbeit so weit zu behaupten, «daß das Liebesverhalten des Mannes in unserer heutigen Kulturwelt überhaupt den Typus der psychischen Impotenz an sich trägt» (1912 a, 85). Von dieser psychischen Impotenz des Mannes ist dann reaktiv auch das Liebesleben der Frau betroffen, die darüber hinaus in besonders hohem Maße ungünstigen Einflüssen der Kultur und Erziehung unterworfen sei (Freud 1912 a).

Die besonders beim Neurotiker anzunehmende Liebesunfähigkeit, der allerdings letztlich ein erhöhtes Bedürfnis nach Liebe, Zuwendung und Abhängigkeit entspricht, verdankt sich ausgedehnten Verdrängungen, denen die Emotionalität des Kranken und insbesondere die mit der Sexualität verbundenen Affekte unterliegen (Freud 1914 b). In der Arbeit «Der Wahn und die Träume in W. Jensens <Gradiva>» (1907 b) schildert Freud anhand eines zeitgenössischen Romans den Zusammenhang zwischen Verdrängung, «Flucht vor der Liebe» (1907 b, 96) und Flucht in die Krankheit. Auch dabei zeigt Freud wieder die große Bedeutung der Kindheit für den Verdrängungsprozeß. Und er stellt die affektive Erinnerung an die Kindheit, deren emotionale Wiedergewinnung, als Ausgangspunkt der Heilung dar. Der von Jensen (1903) geschilderte Romanheld, mit dem sich Freud - so wird hier unterstellt - identifiziert, wird durch eine Liebesbeziehung von seinen Wahnvorstellungen geheilt, wobei die Heilung auf der Wiedererweckung verdrängter Gefühle beruht. Dies aber sei, so meint Freud, das Endziel jeder psychoanalytischen Behandlung. «Jede psychoanalytische Behandlung ist ein Versuch, verdrängte Liebe zu befreien» (1907 b, 118).

Das Instrument, mit dessen Hilfe die Liebesfähigkeit des Kranken wieder hergestellt werden soll, ist die Übertragung, wie Freud in späteren Schriften systematisch ausführt (Freud 1912 b; 1915 e). Die Übertragungbeziehung stellt eine künstliche Beziehung dar - «künstlich» deshalb, weil die auf den Therapeuten übertragenen Gefühle den inzestuösen Liebesobjekten gelten, nicht dem Therapeuten, der sich (vorübergehend) als «Ersatzobjekt», als «Surrogat» der inzestuösen Liebesobjekte bzw. eines bestimmten infantilen Liebesobjektes zur Verfügung stellt. Mit Hilfe der Übertragung sollen die inzestuös gebundenen Gefühle reaktiviert, aber auch von den mit ihnen verbundenen Objekten abgelöst werden. Die so befreiten Gefühle sollen dann - nach gelungener Therapie - für eine neue Objektwahl zur Verfügung stehen. Anders ausgedrückt hieße dies: die Fixierungen der Libido werden aufgehoben, nachdem die Verdrängungen rückgängig gemacht worden sind und der Patient Zugang zur Kindheit und zu den mit ihr verbundenen Erlebnis- und Erfahrungsqualitäten gefunden hat.

Bestehende Verdrängungen führen nach Freud zu einer weitgehenden Einschränkung der Emotionalität. Sie zwingen zur Wahl von «Ersatzobjekte(n) und (zu) Ersatzhandlungen» (1913 b, 40). Schließlich können sie auch eine «täuschende Triebstärke» (1915 c, 251) zur Folge haben. Hypersexualität - das Ausleben sexueller Triebbedürfnisse im expansiven Sinne - ist nach Ansicht Freuds weit eher Zeichen des unterdrückten, denn des befreiten Triebes. Es ist also «nicht die Rede davon, daß der Rat, sich sexuell auszuleben, in der analytischen Therapie eine Rolle spielen könnte» (1916-17, 449). Wie für den Neurotiker reale Liebesunfähigkeit und womöglich - zumindest hinsichtlich des Phantasielebens- täuschende Triebstärke charakteristisch sind, so zeichnet sich das Sexualleben der meisten Kulturmenschen durch eine «Vereinigung von Prüderie und Lüsternheit» (1910 a, 42) aus. Dabei bezieht sich die Prüderie, folgt man der Argumentation Freuds, im wesentlichen auf die tieferen Emotionen und Leidenschaften, die der Verdrängung unterliegen, weshalb sie gleichzeitig Angst erregen, während sich die Lüsternheit auf die verselbständigte sinnliche, d. h. explizit sexuelle Komponente der menschlichen Sexualität bezieht (vgl. Freud 1912 a). Triebunterdrückung und Sexualisierung sind also nach Auffassung Freuds miteinander verbunden.

Viele Mißverständnisse hinsichtlich des von Freud angenommenen Gegensatzes von Trieb und Kultur ergeben sich dann, wenn man diesen letzten Punkt nicht berücksichtigt. Das Wesentliche an dem von Freud angenommenen kulturell notwendigen Triebverzicht ist nicht die Unterdrückung der Sexualität im expansiven, sondern im intensiven Sinne. Wird der Trieb gebändigt, müssen nämlich nicht nur ursprüngliche Ziele aufgegeben werden, die sich im Falle der Perversionen verselbständigen und im Falle der Neurosen zur Phantasiebildung beitragen; vielmehr gehen dabei auch primäre Glücksmöglichkeiten (intensive Erlebnisweisen) verloren.

Durch den Fortschritt der Kultur tauscht der Mensch ursprüngliche Glücksmöglichkeiten gegen Sicherheit und abgedämpfte Leidenschaftlichkeit ein. Freud stellt unter diesem Gesichtspunkt den fiktiven «Urmenschen» dem - an sich ebenfalls nur prototypisch zu verstehenden - «Kulturmenschen» gegenüber. «Wenn die Kultur nicht allein der Sexualität, sondern auch der Aggressionsneigung des Menschen so große Opfer auferlegt, so verstehen wir es besser, daß es dem Menschen schwer wird, sich in ihr beglückt zu finden. Der Urmensch hatte es in der Tat darin besser, da er keine Triebeinschränkungen kannte. Zum Ausgleich war seine Sicherheit, solches Glück lange zu genießen, eine sehr geringe. Der Kulturmensch hat für ein Stück Glücksmöglichkeit ein Stück Sicherheit eingetauscht» (1930, 474).

Die hier von Freud erwähnten Triebeinschränkungen beziehen sich - denkt man an den beim Übergang vom Lustprinzip zum Realitätsprinzip zu leistenden Verzicht auf unmittelbare und direkte Triebbefriedigung, der andererseits eine gesicherte Form der Triebbefriedigung erst ermöglicht - nicht allein auf bestimmte Triebäußerungen. Die Beachtung der Realität, der Übergang zum Realitätsprinzip, der Aufbau des Ich sind verbunden mit einer weitgehenden Abkehr vom primärprozeßhaften Erleben, der psychischen «Primitivität», haben also einen Verlust an Unmittelbarkeit, die Freud dem fiktiven Urmenschen zuschreibt, zur Folge. Man kann in Freuds Auffassungen über den Fortschritt der Kultur und den Aufbau des psychischen Apparates also dieselben Grundannahmen erkennen.

Wenn Freud einerseits ausführt, eine bestimmte Art «täuschender Triebstärke» sei auf zugrunde liegende Verdrängungsleistungen zurückzuführen, so betont er andererseits, daß «die späteren Neurotiker sehr häufig einen besonders starken Geschlechtstrieb und eine Neigung zur Frühreife ... in ihrer Konstitution» (1908 b, 173) mitbrächten. Die Gültigkeit dieser Annahme vorausgesetzt, hieße das, daß der spätere Neurotiker ebenso wie der Primitive der «animalischen» Natur nähersteht und daher in besonders hohem Maße abwehren, d. h. verdrängen muß, um sich in der gesellschaftlichen Realität wenigstens mit Hilfe «mißglückter» Kulturfähigkeit zu behaupten. Daß Freud tatsächlich zwischen dem Primitiven und dem Neurotiker weit­gehende Ähnlichkeiten annimmt, geht aus seiner Arbeit «Totem und Tabu» (1913 b) hervor.

Man könnte den von Freud angenommenen «besonders starken Geschlechtstrieb» des Neurotikers aber auch als Ergebnis ungenügender sexueller Sozialisation, als Ausdruck nicht-integrierter archaischer Triebströmungen begreifen. Soweit die Erziehung im 19. Jahrhundert von der Asexualität des Kindes überzeugt war und Äußerungen der infantilen Sexualität unterdrückte und denunzierte, mußte der Trieb unsozialisiert bleiben. Mangelnde sexuelle Sozialisation, insbesondere mangelnde Eingliederung des Triebes in das übrige affektive und emotionale Geschehen, könnte dann irrtümlich zur Annahme eines besonders stark ausgeprägten Triebes führen.

Jedenfalls nimmt Freud eine ungenügende Sozialisation - über die Sexualität hinaus - beim Neurotiker an. Der Neurotiker bleibt gewissermaßen der ungezähmten «Natur», der «Animalität» verfallen. In seiner Isolierung versucht er dann «mit privaten Mitteln zu leisten, was in der Gesellschaft durch kollektive Arbeit entstand» (1913 b, 91). Seine Symptome gleichen «Zerrbildern» der religiösen und künstlerischen Werke, die die Menschheit insgesamt hervorgebracht hat, indem sie - durch die Entwicklung der Kultur - einen wesentlichen Teil der archaischen Triebkonstitution umgeformt, Triebe und Triebanteile sublimiert hat. Die von Freud beim Neurotiker angenommene Asozialität legt, bezogen auf die Sexualität, eine mehr oder weniger starke narzißtische Orientierung nahe. Autoerotismus und Selbstbezogenheit sind aber nach Freud wesentliche Kennzeichen der infantilen, perversen und neurotischen Sexualität.

Die Neurose ist nun aber nicht allein durch konstitutionelle Triebstärke oder aufgrund von Triebregungen bedingt, die durch ungenügende Sozialisation verstärkt wurden; ein weiterer Faktor - die Zurückweisung der Triebwünsche, die Ablehnung der sexuellen Bedürftigkeit, der «gemeine(n) animalische(n) Not» (1910 a, 171) – muß vorhanden sein, damit es zum neurotischen Konflikt kommen kann. Ohne Ablehnung der Triebwünsche, die auf archaische und daher ungenügend sozialisierte Triebimpulse zurückgehen, käme keine Neurose, vielmehr eine Perversion zustande.

Die während der Therapie intendierte «Bändigung» des Triebes kann als nachträgliche Anerkennung dieser Triebwünsche aufgefaßt werden. Indem sie anerkannt werden, können sie in das übrige psychische Geschehen eingegliedert werden. Freuds Konzept der Therapie wäre demnach zu begreifen als Reintegration und Resozialisation verselbständigter Triebe, als eine Form der Nacherziehung, der kulturell notwendigen Umgestaltung des archaischen Trieblebens, womit gleichzeitig die Liebesfähigkeit hergestellt werden soll, die sich ja nach Freuds Argumentation einer Zielhemmung der sinnlichen Strömung verdankt. Das soll heißen, «daß der Trieb ganz in die Harmonie des Ich aufgenommen, allen Beeinflussungen durch die anderen Strebungen im Ich zugänglich ist, nicht mehr seine eigenen Wege zur Befriedigung geht» (1937, 69). Ziel der Therapie ist es also, die «Neurosen durch die Sicherung der Triebbeherrschung» (1937, 74) zu heilen. Dies gelingt aber nicht immer in ausreichendem Maße. Freud schreibt an derselben Stelle weiter: Wenn «bei übergroßer Triebstärke ... dem gereiften und von der Analyse unterstützten Ich die Aufgabe» misslingt, dann wir «die Triebbeherrschung … besser, aber sie bleibt unvollkommen» (1937, 74).

Freuds Kritik der Kultur und des mit ihr verbundenen Triebverzichts läßt eine Reihe von Fragen offen. Warum können die Sexualität und die mit ihr verbundenen Triebwünsche so schlecht integriert werden? Warum muß sich der Trieb bis zu einem gewissen Grade verselbständigen? Und warum muß ein erheblicher Anteil des mit dem Triebleben verbundenen emotionalen Erlebens verdrängt, abgespalten, dissoziiert werden? Freuds Sicht der archaischen, animali­schen Triebkonstitution des Menschen liefert natürlich eine Antwort auf diese Fragen. Wenn der Mensch tatsächlich über eine entsprechende Triebkonstitution verfügt, dann ist Triebverzicht unter allen gesellschaftlichen Bedingungen eine conditio sine qua non. Freud gibt jedoch auch Hinweise, wenngleich er sie nicht systematisch verfolgt, wonach der notwendige Triebverzicht - wenigstens zum Teil - auch unter anderen als anthropologischen Gesichtspunkten zu sehen ist.

Kultur, das ist, wie bereits erwähnt, nach Ansicht Freuds all das, worin sich das menschliche Leben von seinen animalischen Ausgangsbedingungen unterscheidet. Die Voraussetzungen der Kultur sind aber - nach Freud - «Arbeitszwang und Triebverzicht» (1927, 331). Weiterhin sind die Kultur wie der Aufbau des Ich Ausdruck der Selbsterhaltung. Die Selbsterhaltung ist aber nichts anderes als Ausdruck des ökonomischen Prinzips, der Notwendigkeit, durch Arbeit zu überleben. Das Problem des Triebverzichts muß zwangsläufig unter ökonomischen Gesichtspunkten diskutiert werden, «weil die gegenseitigen Beziehungen der Menschen durch das Maß der Triebbefriedigung, das die vorhandenen Güter ermöglichen, tiefgreifend beeinflußt werden» (1927, 326).

Die Überwindung der Animalität, die Menschwerdung des Menschen, sieht Marx in der Notwendigkeit zur materiellen Reproduktion, in der Arbeit also begründet, wobei die gesellschaftliche Organisation der Arbeit Ausdruck und Mittel des Prozesses der Entwicklung des Menschen zu sich selbst darstellt. Die Herstellung der zur Triebbefriedigung notwendigen Güter setzt aber Triebaufschub und die Fähigkeit voraus, Ziele über längere Zeit hinweg zweckvoll zu verfolgen. Der von Freud angesprochene Arbeitszwang kann also nicht nur im äußerlichen Sinne verstanden werden, als Zwang zur Reproduktion, sondern muß auch im psychischen Sinne interpretiert werden. Die Fähigkeit zur Arbeitsleistung setzt eine Umstrukturierung ursprünglicher Reaktions- und Erlebnisweisen voraus. Das ist wohl der Kern des von Freud wiederholt angesprochenen «Realitätszwangs». Freud ist - und dies wäre wohl auch im Zusammenhang mit den Bedingungen zu sehen, unter denen heute gearbeitet wird - hinsichtlich der freiwilligen Bereitschaft des Menschen zur Arbeit skeptisch. Würde der Zwang zur Arbeit wegfallen, sei die Mehrzahl der Menschen nicht mehr bereit, die notwendige Arbeit zu leisten (Freud 1927). Allerdings sieht Freud die Arbeit auch unter positiven Aspekten. Sie sei ein Mittel, den einzelnen in die Gesellschaft zu integrieren und an die «Realität» zu binden. Außerdem könnten Triebwünsche befriedigt werden, da die Arbeitsleistung «ein starkes Ausmaß libidi­nöser Komponenten, narzißtische, aggressive und selbst erotische» (1930, 438 Anm.) besitze.

Der nach Freud kulturell notwendige Triebverzicht wäre also in systematischer Form mit dem gesellschaftlich notwendigen Arbeitszwang in Verbindung zu setzen. Marcuse (1957; 1968) weist daraufhin, daß die Abrichtung zur Arbeit unter der Bedingung der herrschenden gesellschaftlichen Realität den von Freud postulierten Triebverzicht erst vollständig begreifbar mache. Marcuse interpretiert in diesem Zusammenhang psychische «Normalität» in Abhängigkeit von der Bereitschaft zur Arbeit und meint, diese Form der Normalität laufe auf «eine Verzerrung und Verstümmelung des menschlichen Wesens» (Marcuse 1968, 135) hinaus.

Obgleich Freud im Arbeitszwang und damit in der Arbeit ein konstitutives Moment der «Kultur» sieht, ist er nicht bereit, darin eine letzte Begründung für seine Theorie vom Triebverzicht anzuerkennen. Auch wenn man den Arbeitszwang berücksichtige, so sei doch bei einer genaueren Analyse der Kultur «das Schwergewicht vom Materiellen weg aufs Seelische» (1930, 328) zu verlegen. Am Beginn der menschlichen Gesellschaft, in der Urhorde, sei die Unterdrückung unter psychischen Gesichtspunkten, unter Aspekten sexueller und aggressiver Triebwünsche im Zusammenhang mit dem angestrebten Besitz des Sexualobjektes zu sehen (Freud 1913 b). Das Streben nach materiellen Gütern - sieht man von elementaren Mitteln zur Reproduktion ab - erscheint bei Freud, wie auch das Streben nach Macht, Einfluß oder Ruhm, häufig nur als eine Art Zwischenschritt, hinter dem sich das Streben nach dem Sexualobjekt verbirgt.

Der Verzicht auf die animalische Organisation, auf die unmittelbare Realisierung von Triebwünschen, steht am Ausgangspunkt der Kulturentwicklung, der Arbeitszwang ist ein abgeleitetes Moment: «Wir sind unversehens aus dem Ökonomischen ins Psychologische hinübergeglitten. Anfangs waren wir versucht, den Kulturbesitz in den vorhandenen Gütern und den Einrichtungen zu ihrer Verteilung zu suchen. Mit der Erkenntnis, daß jede Kultur auf Arbeitszwang und Triebverzicht beruht und damit unvermeidlich eine Opposition bei den von diesen Anforderungen Betroffenen hervorruft, wurde es klar, daß die Güter selbst, die Mittel zu ihrer Gewinnung und Anordnungen zu ihrer Verteilung nicht das Wesentliche oder Alleinige der Kultur sein können» (1926, 330f).

Die durch die Kulturentwicklung bei den Betroffenen hervorgerufene Opposition erscheint also, folgt man Freuds Argumentation, verständlich und geradezu unumgänglich. Die Neurotiker stellen eine Klasse von Menschen dar, die aufgrund ihrer Opposition gegen den notwendigen Triebverzicht asozial reagieren und schließlich der Krankheit verfallen (Freud 1927). So sehr Freud den kulturell notwendigen Triebverzicht kritisiert und auch für möglichst weitgehende Verringerung dieses Verzichts plädiert, ist er von einer vollständigen Aufhebung des Verzichts nicht überzeugt. Freud plädiert im Gegenteil für eine Anerkennung der Realität und damit des notwendigen Verzichts. Diese Anerkennung soll mit Hilfe der «Vernunft» erfolgen.

In der letzten Vorlesung der «Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse» (1933) plädiert Freud für eine «Diktatur der Vernunft». Die Vernunft solle das menschliche Seelenleben beherrschen und den Leidenschaften, Gefühlen und Triebwünschen den ihnen zuzubilligenden Platz sichern. Diese Diktatur der Vernunft sei zwar eine Illusion, wie Freud in seiner Arbeit «Die Zukunft einer Illusion» (1927) ausführt, sie sei dennoch anzustreben.

Der Gedanke einer Diktatur der Vernunft - soll heißen: die Forderung einer vernünftig begründeten Anerkennung der Realität und einer vernünftigen Form der Triebsteuerung - findet auch in Freuds Therapiekonzeption Raum. Beim Kranken wie auch beim Gesunden sind längst nicht alle Verdrängungen aufzuheben, bzw. können nicht alle der Verdrängung unterliegenden Triebwünsche realisiert werden. Die therapeutische Vernunft kann zwar einen Teil der Triebwünsche, die der Verdrängung unterliegenden, befreien und integrieren, sie muß aber einen anderen Teil, der in zu enger Beziehung zum «animalischen Urzustand» steht, zurückweisen, da er kulturfeindlich wäre. Dabei ist der Mechanismus der Verdrängung durch die Verurteilung zu ersetzen, die auf vernünftiger Einsicht in die Notwendigkeiten des Lebens beruht.

Freuds Plädoyer für eine Herrschaft der Vernunft, das ganz offensichtlich an der Philosophie der klassischen Aufklärung orientiert ist, bezieht sich einmal auf die Gesellschaft als Ganzes, die sich vernünftig organisieren soll. Dieses Plädoyer bezieht sich zum anderen auf das Individuum und besonders auf den psychisch Kranken, der seinen Widerstand gegen die Realität aufgeben soll, um zu einer vernünftigen Anerkennung der Realität zu gelangen. Freud übersieht dabei jedoch, daß das Konzept der Vernunft selbst nicht losgelöst vom realen gesellschaftlichen Kontext und damit von der realen Organisation der Arbeit zu interpretieren ist (Horkheimer, Adorno 1947).

Wenn Freud für eine Diktatur der Vernunft plädiert, so plädiert er letztlich für eine Diktatur jener Vernunft, die für die bürgerliche Gesellschaft typisch ist und vieles von dem, was Freud in anderen Zusammenhängen angreift, erst ermöglicht hat. Bevor es überhaupt im Verlauf eines historischen Prozesses zur Herausbildung dieser Art der Vernunft hatte kommen können, mußten die Leidenschaften, die Affekte, die Sinne, die Körperlichkeit und, damit verbunden, die «Triebe», die Sexualität, als «vernunftlos-unvernünftig» denunziert werden (vgl. Foucault 1961).

Der Trieb und dessen Verankerung im Unbewußten repräsentieren somit gerade jenen Bereich, der von der aufklärerischen Vernunft zurückgewiesen und damit zur Verselbständigung gezwungen worden ist. Nietzsches Kritik am «Sokratismus», an der «falschen» Form der Vernunft, die sich dem Trieb gegenüberstellt, um diesen zu beherrschen, weil sie in ihm eine «Gefahr» sieht, liest sich denn auch wie eine vorweggenommene Kritik an Freuds Plädoyer für eine Diktatur der Vernunft: «Wenn man nötig hat, aus der Vernunft einen Tyrannen zu machen, wie Sokrates es tat, so muß die Gefahr nicht klein sein, daß etwas anderes den Tyrannen macht. Die Vernünftigkeit wurde damals erraten als Retterin ... Der Fanatismus, mit dem sich das ganze griechische Nachdenken auf die Vernünftigkeit wirft, verrät eine Notlage: man war in Gefahr, man hatte nur eine Wahl: entweder zugrunde zu gehn oder - absurd-vernünftig zu sein ... Vernunft = Tugend = Glück heißt bloß: man muß es dem Sokrates nachmachen und gegen die dunklen Begehrungen ein Tageslicht in Permanenz herstellen - das Tageslicht der Vernunft. Man muß klug, klar, hell um jeden Preis sein: jedes Nachgeben an die Instinkte, ans Unbewußte führt hinab» (Nietzsche 1889 - zit. n. G.W. 1967, 135).

Das Unbewußte, das - insbesondere verbunden mit den sexuellen Trieben - eine regressive Anziehung ausübt und die Vernunft und die Ich-Organisation des Menschen in Gefahr zu bringen droht - das sind Gedanken, die sich bei Nietzsche wie bei Freud wiederfinden, wenngleich beide unterschiedliche Schlußfolgerungen ziehen.

Auch Freud setzt das Unbewußte mit den Instinkten des Menschen in Verbindung, mit dessen ursprünglicher animalischer Natur. «Wenn es beim Menschen ererbte psychische Bildungen, etwas dem Instinkt der Tiere Analoges gibt, so macht das den Kern des Unbewußten aus» (1915 d, 294). Im Unbewußten erhält sich also die «Natur», die im Verlauf der Kulturentwicklung scheinbar überwunden worden ist. Das Infantile stellt somit nur die Nahtstelle zu einer noch tieferliegenden Vergangenheit des Menschen dar; das Infantile wurzelt im Anima­lischen der menschlichen Natur. In einer prägnanten Zusammenfassung beschreibt Freud dies bei der Diskussion einer infantilen Neurose wie folgt: «Gäbe es ... einen instinktiven Besitz auch beim Menschen, so wäre es nicht zu verwundern, wenn er die Vorgänge des Sexuallebens ganz besonders beträfe, wenngleich er auf sie keineswegs beschränkt sein kann. Dieses Instinktive wäre der Kern des Unbewußten, eine primitive Geistestätigkeit, die später durch die zu erwerbende Menschheitsvernunft entthront und überlagert wird, aber so oft, vielleicht bei allen, die Kraft behält, höhere seelische Vorgänge zu sich herabzuziehen. Die Verdrängung wäre die Rückkehr zu dieser instinktiven Stufe, und der Mensch würde so mit seiner Fähig­keit zur Neurose seine große Neuerwerbung bezahlen und durch die Möglichkeit der Neurose die Existenz der frühen instinktartigen Vorstufe bezeugen» (1918 a, 156 - Herv.: B. N.).

Die hier von Freud angenommene primitive Geistestätigkeit ist aber gerade das Wesentliche an der Traumbildung. Der Traum kommt zustande durch eine Rückkehr auf primitive Stufen der menschlichen Geistestätigkeit. Analoge Überlegungen stellt Freud hinsichtlich der Symptombildung an.

Drückt sich Freud in den oben angeführten Zitaten hinsichtlich eines womöglich anzunehmenden «Instinkts» beim Menschen noch relativ vorsichtig aus, so äußert er sich in manchen Schriften seines Spätwerkes weniger zurückhaltend. In seiner Arbeit «Der Mann Moses und die monotheistische Religion» (1937-39) betont Freud wiederholt, wie eng die Beziehung zwischen Mensch und Tier sei. Sie sei jedenfalls weit enger, als gemeinhin aufgrund kultureller Überzeugung und Überheblichkeit angenommen werde. Die archaische Erbschaft des Menschen, seine ursprüngliche Triebkonstitution, gehört in ihrer untersten Schicht dem Tierreich an und läßt die Distanz, die der Mensch zwischen sich und das Tier gelegt hat, künstlich erscheinen. «Wir erfahren, daß unsere Kinder in einer Anzahl von bedeutsamen Relationen nicht so reagieren, wie es ihrem eigenen Erleben entspricht, sondern instinktmäßig, den Tieren vergleichbar, wie es nur durch phylogenetischen Erwerb erklärlich ist» (1937-39, 241).

Und über die Beziehungen zwischen Mensch und Tier schreibt Freud in derselben Arbeit: «Wir verringern die Kluft, die frühere Zeiten menschlicher Überhebung allzu weit zwischen Mensch und Tier aufgerissen haben. Wenn die sogenannten Instinkte der Tiere, die ihnen gestatten, sich von Anfang an in der neuen Lebenssituation so zu benehmen, als wäre sie eine alte, längst vertraute, wenn dies Instinktleben der Tiere überhaupt eine Erklärung zuläßt, so kann es nur die sein, daß sie die Erfahrung ihrer Art in die neue eigene Existenz mitbringen, also Erinnerungen an das von ihren Voreltern Erlebte in sich bewahrt haben. Beim Menschentier wäre es im Grunde auch nicht anders. Den Instinkten der Tiere entspricht seine eigene archaische Erbschaft, sei sie auch von anderem Umfang und Inhalt» (1937-39, 207f).

Die Entwicklungslinie in umgekehrter Richtung: reife Psychosexualität des Erwachsenen - infantile Sexualität findet also, da die Sexualität des Menschen nach Freud zutiefst mit dem Unbewußten und damit womöglich mit den «Instinkten» verbunden ist, ihren Abschluß nicht in der je individuellen Kindheit, auch nicht in der endlichen Historie des Menschen, sondern reicht bis in die Tierheit des Menschen zurück. Die «Liebe» bleibt damit im tiefsten Sinne «animalisch».

Auch wenn der Trieb in vielfacher Weise kulturell umgeformt und überlagert, unterdrückt und auf neue Ziele abgelenkt werden kann, besitzt er nach Auffassung Freuds doch stets eine biologische Verankerung, als deren Ausgangspunkt die archaische Triebstruktur des Menschen anzunehmen ist. Trotz der großen Plastizität des Triebes und trotz der Schicksale, denen er ausgesetzt sein mag, bleibt dessen biologische Verankerung - zumindest mit Hilfe der analytischen Methode - erkennbar. Am Ausgangspunkt der Kulturkritik Freuds wie der psychoanalytischen Neurosenlehre und der Beiträge Freuds zur Sexualtheorie steht demnach ein Gegensatz zwischen «Natur» und «Kultur», der überbrückbar, nicht aber aufhebbar erscheint.

Zuletzt bleibt noch ein Problem zu erwähnen, das mit dem von Freud angenommenen Gegensatz zwischen Natur und Kultur eng verbunden ist. Die Überwindung der infantilen Sexualität, deren Umgestaltung zur reifen Psychosexualität des Erwachsenen, kommt durch eine Bändigung des archaischen Triebes zustande. Verliert jedoch andererseits die Sexualität des Menschen ihren Rückhalt in der «Animalität», wird sie von ihrer Wurzel zu stark abgeschnitten, zu weitgehend «domestiziert», so sind, wie Freud hinsichtlich des «Liebeslebens» des Kulturmenschen ganz allgemein annimmt, psychische Impotenz und Liebesunfähigkeit bzw. Einschränkung der Fähigkeit zur Liebe die Folgen. Die kulturell notwendige Bändigung des Triebes kann also u. U. auch zu einer zu weitreichenden Einschränkung der Emotionalität führen.

7

Schlußbemerkungen

Freuds Konzept der Sexualität ist in negativer Hinsicht relativ leicht einzugrenzen: Es stützt sich nicht ausschließlich auf jene Faktoren, die mit dem Unterschied der Geschlechter, der Genitalität und der Fortpflanzung verbunden sind. Eine positive Bestimmung fällt dagegen schwerer.

Freuds Konzept der Sexualität ist verbunden mit der Annahme einer spezifischen psychischen Energie, der Libido, und steht in enger Beziehung zum «Unbewußten». In das Postulat des Unbewußten gehen infantile, archaische, prähistorische und animalische Bestimmungen ein. Das Es, das die Leidenschaften und Affekte des Menschen repräsentiert, stellt jenen Bereich der psychischen Persönlichkeit dar, der die Sexualität des Menschen grundlegend determiniert.

Die Sexualität ist nach Freud an allen seelischen Regungen beteiligt. Sie trägt zum Aufbau der Persönlichkeit und zur Entwicklung des Charakters bei. Sie ist in allen sozialen Beziehungen involviert, auch wenn diese Beziehungen nicht explizit sexueller Natur sind.

Freuds Auffassungen über das menschliche Sexualleben sind also für die psychoanalytische Theorie von kaum zu überschätzender Bedeutung. Die wichtigeren psychoanalytischen Konzepte sind ohne Freuds Bestimmung der Sexualität nicht zu verstehen.

Dabei erscheint die Sexualität im Werk Freuds relativ wenig durch explizit sexuelles Verhalten definiert zu werden. Man wird Freuds Sexualitätsbegriff wohl am ehesten gerecht, wenn man ihn mit den Auffassungen über die Geschlechtlichkeit vergleicht, die für die vorbürgerlichen Gesellschaften typisch sind. Danach zeichnet sich die Geschlechtlichkeit des Menschen vor allem durch eine Beziehung zur Transzendenz aus; sie wurzelt in einem Bereich, der weniger der Ratio als dem religiösen (therapeutischen) Kult zugänglich ist.

Die der Sexualität von Freud zugeschriebene Bedeutung verliert sich in der Tiefenpsychologie nach Freud zusehends. So erklärte sich Freud schon den Abfall C. G. Jungs: Dieser sei nicht bereit gewesen, die sexuelle Basis des Ödipuskomplexes und damit die Bedeutung der inzestuösen Objektwahl anzuerkennen. Jung habe die sexuelle Bedeutung des Familienkomplexes vielmehr nur in übertragener, symbolischer Form anerkannt (Freud 1914 a). Damit habe Jung die ethischen und religiösen Leistungen der Menschen vor dem schnöden Vorwurf bewahren wollen, auch sie verdankten sich den «gemeinsten» Trieben des Menschen. Freud bemerkt: «In Wirklichkeit hatte man aus der Symphonie des Weltgeschehens ein paar kulturelle Obertöne herausgehört und die urgewaltige Triebmelodie wieder einmal überhört» (1914 a, 108).

Gemeinsam ist vielen neoanalytischen Schulen und nach-freudianischen Fraktionen innerhalb der mainstream-Psychoanalyse die Einschränkung der Bedeutung der Sexualität - vor allem auch hinsichtlich der Ätiologie der Neurosen - und damit verbunden eine weitgehende Zurückweisung der Hypothesen Freuds über das Unbewußte. Aber auch in der Entwicklung der Psychoanalyse selbst vollzog sich eine zunehmende Abwendung von der Psychologie des Unbewußten hin zur Psychologie des Ich. Wenn man das Unbewußte und die Sexualität vom Ich aus betrachtet, gerät man hinsichtlich der aufgestellten Theorien leicht in die Gefahr, einer - bei der Traumbildung analog vorhandenen - «sekundären Bearbeitung» zu unterliegen, wie Freud (1914 a) dies bereits bezüglich der Lehrsätze Adlers kritisiert hatte.

Den wichtigsten Beitrag zur psychoanalytischen Sexualforschung lieferte neben Freud später dessen Schüler Wilhelm Reich. Er hat eine eigene Theorie des Orgasmus aufgestellt, zeigte die Bedeutung der Sexualität für die Charakterentwicklung im einzelnen und verband schließlich seine sexualpolitischen Vorstellungen mit der Theorie des histo­rischen Materialismus. Bevor er die Sexualität mit Hilfe der Orgon-Theorie in nahezu mystischer Weise mit der den Kosmos durchdringenden Lebensenergie verband, dachte Reich  vor allem praxisbezogen: Er erörterte das Problem der Sexualität nicht nur unter psychologischen Gesichtspunkten - wie größtenteils Freud -, sondern verwies darauf, daß Faktoren wie Wohnungsnot, Abtreibung, ungenügende soziale Versorgung, mangelnde Empfängnisverhütung, Prostitution usw. entscheidend für das «sexuelle Elend» seien. Reich gehörte damit zeitweise einer sexualreformerischen Bewegung an, die sich in den 1920er Jahren durchgesetzt hatte. Die von Magnus Hirschfeld initiierte «Weltliga für Sexualreform», die zwischen 1920 und 1930 Kongresse in Berlin, Kopenhagen, London und Wien abhielt, kann als bedeutendster Ausdruck dieser Reformbestrebungen angesehen werden.

Freud hielt sich von einer entsprechend praxisbezogenen Diskussion des Problems der Sexualität weitgehend fern, vernachlässigt man einmal seine Forderung nach Aufklärung der Kinder oder seine eher allgemeine Kritik der bürgerlichen Sexualmoral, an der er vor allem die Zwangsabstinenz bei Jugendlichen und Unverheirateten angriff. Auch die bereits seit dem 19. Jahrhundert bestehende Frauenrechtsbewegung (vgl. Merfeld 1972), die für die Gleichberechtigung der Frau auch auf sexuellem Gebiet stritt und - in ihrem sozialistisch orientierten Flügel - diese Themen mit der ökonomischen Unterdrückung der Frau in Verbindung brachte, wurde von Freud weitgehend ignoriert. Freuds Auseinandersetzung mit dem Problem der Sexualität muß also in erster Linie als eine psychologische verstanden werden.

Hatte Freud die Trennung von sinnlicher und zärtlicher Strömung, die Unterscheidung von expliziter Sexualität und «Liebe» als einen charakteristischen Ausdruck der Kulturentwicklung angeprangert, so ist diese Trennung bei Reik (1950) geradezu eine anthropologische Tatsache: «Die Unterschiede zwischen Liebe und Sexualität sind so entscheidender Art, daß die Behauptung der Psychoanalytiker, beide hätten denselben Ursprung und denselben Charakter, sehr unwahrscheinlich ist. Diese Unterschiede sind am reinsten zu erkennen, wenn beide Phänomene in ihrer reinsten Form einander gegenübergestellt werden. Ein paar Beispiele: Liebe ist ein emotionaler, starker Wunsch, eine Schöpfung der persönlichen Phantasie. In der Sexualität besteht der Trieb, sich einer organischen Spannung zu entledigen; in der Liebe besteht das Bedürfnis, sich von seiner eigenen Unzulänglichkeit zu befreien. Beim ersten sucht der Mensch nach körperlicher Befriedigung, beim zweiten strebt er nach Glück. Beim ersten handelt es sich um die Wahl eines Körpers, beim zweiten um die Wahl einer Persönlichkeit» (1950, 24).

Freud hatte sich in seinem Werk nun gerade zunehmend darum bemüht, die scheinbare Nichtidentität von Sexualität und Liebe mit Hilfe komplexer theoretischer Modelle zu erklären und sie - interpretiert man Freud extensiv - als Ausdruck einer repressiven Sexualmoral und der ihr zugrunde liegenden kulturellen Realität zu erklären. Im erwähnten Zitat Reiks erscheint Sexualität hingegen unter einem extrem somatischen Gesichtspunkt, während gleichzeitig - und wahrscheinlich notwendig, setzt man eine entsprechend einseitige somatische Orientierung voraus - die Liebe stark romantisiert und vergeistigt wird.

Für Reiks Auffassung der Sexualität trifft in etwa ein «psychohydraulisches Modell» zu, nach dem Triebreize abzuführen sind, andernfalls sie zu Spannungen führen. Dieses Modell war für Freuds frühe Theorien und in der Anfangsphase der Entwicklung psychoanalytischer Konzepte ebenfalls charakteristisch. Es kann aber als eine der großen Leistungen Freuds aufgefaßt werden, daß er versuchte, dieses Modell durch komplexere Denkvorstellungen zu ersetzen und die explizite Sexualität wieder mit dem übrigen affektiv-emotionalen Geschehen zu verbinden. Im Begriff der Psychosexualität versuchte Freud, die Trennung von Sexualität und Liebe aufzuheben.

Man kann nun nicht behaupten, daß sich diese Auffassung der Sexualität in der sexualwissenschaftlichen Literatur durchgesetzt hätte. Einerseits sind die Auffassungen Freuds - und das mag mit dem Gegenstand selbst verbunden sein - zu wenig «wissenschaftlich», d. h. sie entziehen sich zum Teil einer streng methodischen Überprüfung. Andererseits spricht die «Realität», sprich: die gesellschaftliche Entwicklung, selbst gegen eine Reihe der von Freud vertretenen Auffassungen. Im Zuge der sexuellen «Befreiung», die etwa Ende des 19. Jahrhunderts begann, in Deutschland durch den Faschismus und dessen Auswirkungen vorübergehend allerdings unterbrochen worden ist, trat eine weitgehende Verselbständigung der Sexualität ein, die dem Sexualitätskonzept Reiks weit mehr entspricht als dem Freuds. Nach Marcuse (1957) zeichnen sich in den westlichen Industriegesellschaften schließlich folgende allgemeine Tendenzen ab (vgl. Schelsky 1955):

  • Die Sexualität wird weitgehend synchronisiert mit dem Leistungszwang (erinnert sei hier beispielsweise an die «Pflicht» zum Orgasmus);

  • Sexualität wird Konsumgut, zu einem allseits verfügbaren Mittel;

  • die Sublimierung nicht «kulturfähiger» Triebe und Triebanteile wird zurückgenommen (wobei solche repressiv entsublimierten Triebwünsche funktionalisiert und ausgebeutet werden);

  • die Sexualität bleibt abgeschnitten von ihrer archaischen Basis, die ihr zukommende Transzendenz bleibt unterdrückt;

  • und schließlich begreift ein zweifelhaftes Hygiene- und Gesundheitsideal Sexualität als eine Form müheloser Entspannungsübung.

Wenn die Sexualität in dieser Weise gleichzeitig isoliert und aus dem übrigen emotionalen Kontext ausgegliedert werden kann, dann müssen jene Merkmale verlorengehen, die Freud veranlaßten, in ihr einen Gegensatz zur Kultur, d. h. zur gesellschaftlichen Realität zu sehen, sie als eine gefahrdrohende, die Grenzen des Individuums sprengende Macht zu begreifen. Die «befreite» Sexualität verliert damit die wesentlichen Bestimmungen, die der Sexualität nach Freud zukommen. Sie gewinnt damit aber auch nicht jene Merkmale, die Freud im Begriff des Eros zusammengefasst hat. Eine bisher noch kaum wieder erreichte Radikalität der Kritik an dieser Art des repressiven «Fortschritts» zeichnet sich im Werk Freuds durchgängig ab.

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Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in:
Eicke, D. (Hg.): Die Psychologie des 2O. Jahrhunderts, Bd.2. Zürich (Kindler), 1976, S. 363-4O2.

Die vorstehende Fassung folgt der überarbeiteten  Wiederveröffentlichung des Beitrags  in:
Nitzschke, B.: Sexualität und Männlichkeit. Zwischen Symbiosewunsch und Gewalt. Reinbek (Rowohlt), 1988, S. 282-346.