Bernd Nitzschke

 

Penelope und Odysseus waren Freunde

oder

Was haben die Allmacht der Mütter und die Ohnmacht der Väter

mit der Übermacht des „männlichen“ Prinzips

in der modernen Gesellschaft zu tun?

 

1

Von der Allmacht und Ohnmacht der Mütter – der psychische und der soziale Ort der Frauen

 

Der Pädagoge Joachim Heinrich Campe brachte zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine Wertschätzung des weiblichen Geschlechts, aber auch seine Angst vor Frauen, mit folgenden Worten zum Ausdruck:

 

„... allgewaltiges, obgleich schwaches Geschlecht, was hängt nicht Alles von deinem unsichtbaren Einflusse ab, und wie viel kömmt nicht darauf an, wie lauter oder wie trübe du, Urquell aller Sittlichkeit und Unsittlichkeit, alles menschlichen Wohlergehens und alles menschlichen Elendes, seist und erhalten werdest“ (zit. n. Eden 1991, 37).

 

Die Auffassung, Frauen seien der „Urquell“ alles Guten und Bösen, entspricht der Empfindung des Kindes, für seine „guten“ und „bösen“, lustvollen oder unlustvollen Erlebnisse sei die Mutter verantwortlich, die deshalb zu lobpreisen und zu verehren oder zu fürchten und zu verdammen wäre. Die von Campe bemerkte „Allgewalt“ der Frauen ist also aus der Perspektive des von mütterlicher Pflege abhängigen Kindes wahrgenommen. Folgt man Campe, so müssen die Frauen gerade deshalb einer umfassenden Kontrolle unterworfen werden, weil das Schicksal der gesamten Menschheit von ihrer Sittlichkeit oder Unsittlichkeit abhängen soll. So wird auf dem Wege der Kontrolle aus dem psychisch „allgewaltigen“ das sozial schwache Geschlecht, dessen soziale Ohnmacht wie die Umkehrung seiner ursprünglichen psycho-biologischen Macht erscheint.

 

Das Bild von der Frau als Urquell, als Schöpferin – wenn nicht des Himmels und der Hölle, so doch der Lust und der Unlust des Kindes – entspringt dem infantilen Erleben. Die Fähigkeiten und Unfähigkeiten des Kindes, im späteren Leben emotionale Bindungen einzugehen, werden von der Qualität der frühen Begegnung mit der Mutter beeinflußt. Auf seine Weise und mit seinen Mitteln versucht daher schon das kleine Kind die Macht der Mutter so zu kontrollieren, daß es die mütterlichen Potentiale für die Befriedigung infantiler Bedürfnisse nutzen kann. Dem späteren Bedürfnis von Männern, Frauen zu kontrollieren, mögen teilweise ähnliche Motive zugrunde liegen.

 

Die eingangs zitierte Äußerung des Pädagogen Campe weist die Idealisierung und Dämonisierung der den Frauen zugeschriebenen Macht auf. Wie jede Macht, so kann auch diese Macht für gute oder für böse Zwecke benutzt werden. Die Vermutung, Frauen übten „unsichtbaren Einfluß“ aus, läßt zudem an magische Praktiken und an gute Feen und böse Hexen denken. Solche Gestalten entwirft das infantile Phantasieren, das damit dem Erleben emotionaler Beziehungen Ausdruck verleiht (vgl. Nitzschke 1985).

 

Die Frau als Doppelwesen, überirdisch im magischen wie im himmlischen Sinn, naturverfallen, kulturbedrohend oder auch als die Schöne, die das männliche Tier befreit, tröstet und errettet – das sind Themen, die in der Literatur immer wiederkehren. Bisweilen stand dabei die Verklärung der Himmelsgöttin im Vordergrund; in anderen Zeiten überwog die Verdammung der Frauen. Shakespeares König Lear (IV, 4), beispielsweise, beschreibt das Doppelwesen der Frau so:

 

Sieh dort die ziere Dame:

Ihr Antlitz weissagt Schnee in ihrem Schoß;

Sie spreizt sich tugendlich und dreht sich weg,

Hört sie die Lust nur nennen:

Und doch sind Iltis nicht und hitz’ge Stute

So ungestüm in ihrer Brunst.

Vom Gürtel nieder sind’s Centauren,

Wenn auch von oben Weib; nur bis zum Gürtel

Sind sie den Göttern eigen: jenseits alles

Gehört den Teufeln, dort ist Hölle, Nacht,

Dort ist der Schwefelpfuhl, Brennen, Sieden, Pestgeruch,

Verwesung – pfui, pfui, pfui! –

 

In Zeiten ungebrochen patriarchaler Herrschaft hatten Männer das Recht, den Frauen, denen vermeintlich von Natur aus die Sittlichkeit fehlte, dieselbe machtvoll einzuprügeln, wobei die erziehungsberechtigten Ehemänner ein gesetzlich vorgeschriebenes Maß zu beachten hatten: Benutzt werden durfte zu Shakespeares Zeiten nur ein „höchstens daumendicker Stock“ (Breuer 1989, 45). Abgesichert war dieses Recht der Ehemänner ihre Frauen zu züchtigen durch eine Ideologie, der zufolge nur Männer als vernunftbegabte und daher aus freien Stücken zur Sittlichkeit befähigte Wesen galten.

 

Angesichts solcher Bräuche fragt man sich, wie Campes Aussage von der „Allgewalt“ des weiblichen Geschlechts mit der jahrhundertelangen Unterdrückung und sozialen Ohnmacht der Frauen zu vereinbaren ist? Berücksichtigt man das Erleben eines Kindes und dessen Beziehung zu einer „geprügelten“ Mutter, dann läßt sich dieser Widerspruch durchaus klären: Eine deklassierte, von ihrem Ehemann geschlagene und dann vielleicht auch noch verlassene Frau, die sich und ihr Kind unter Mühen ernähren muß, wird auf die soziale Ohnmachtsituation möglicherweise depressiv reagieren. Von ihrem Kind kann sie dennoch als mächtig erlebt werden. Denn es ist nicht zu vermeiden, daß die Mutter ihr Kind mit depressiven Affekten „beeinflussen“ wird. So konstelliert sich eine Gefühlsbeziehung, die im Hinblick auf die emotionale Strukturierung des Kindes durchaus bedeutsam ist: die Affektivität der Mutter hat „Einfluß“ auf die psychische Entwicklung des Kindes, wodurch die sozial ohnmächtige Mutter in der Beziehung zum Kind psychisch „mächtig“ ist. Die paradox klingende Formulierung vom „allgewaltigen, jedoch schwachen Geschlecht“ ist also nur so paradox wie die Situation, in die viele Frauen als Mütter geraten. Campe faßt zwei Bilder zusammen – das der psychischen Position der Mutter dem Kind gegenüber und das der Situation, in der sich Frauen in einer von Männern kontrollierten Gesellschaft befinden. So entsteht ein Vexierbild, das, aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, zwei verschiedenartige Gestalten hat.

 

Welche Faktoren haben nun dazu beigetragen, den Frauen eben jenen Ort vorzuschreiben, der zu ihrer sozialen Benachteiligung, aber auch zur „Allgewalt“ dem Kind gegenüber führen mußte? Will man nicht von einer Verschwörung „der“ Männer gegen „die“ Frauen ausgehen, so wäre als Ausgangspunkt eine anthropologische Konstante anzunehmen, die im Verlauf der historischen Entwicklung mehr und mehr zum Ort der Benachteiligung beigetragen hat: Es war ein natürliches Privileg, nämlich die Befähigung zur Mutterschaft, das Frauen den Ort in der Nähe der Kinder vorschrieb, der bei der Aufteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit zwischen den Geschlechtern eine entscheidende Rolle spielte. Im Interesse der Gruppe mußte das Überleben der Mütter und der von mütterlicher Pflege abhängigen Kinder gesichert werden. Das schränkte „die Beliebigkeit geschlechtlicher Arbeitsteilung in weniger entwickelten Gesellschaften“ erheblich ein (Rohde-Dachser 1991, 24). Über lange Zeiträume der Menschheitsgeschichte hinweg war die biologische Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern demnach Ausgangspunkt für die soziale Arbeitsteilung, wobei Frauen bevorzugt solche Arbeiten zu verrichten hatten, die möglichst wenig Trennung von den versorgungsbedürftigen Kinder erforderten.

 

Die Unterscheidung „zwischen männlich und weiblich“ war zu allen Zeiten wichtig, „und alle Gesellschaften sehen auch institutionalisierte geschlechtsspezifische Rollen für erwachsene Männer und Frauen vor“ (Gilmore 1991, 9). Während Weiblichkeit jedoch überwiegend als spontanes Ergebnis eines natürlichen Reifungsprozesses – nämlich als grundsätzlich biologisch gegebene Befähigung zur Mutterschaft – verstanden werden konnte, war Männlichkeit als Bereitschaft zum Kampf für überindividuelle, nämlich Gesamtgruppen-Ziele definiert. Das konnte nicht ohne weiteres als Ergebnis eines „natürlichen“ (biologischen) Reifungsprozesses aufgefaßt werden. Die Bereitschaft, auch fremde Mütter und Kinder oder das ganze Territorium samt den für alle Gruppenmitglieder notwendigen Ressourcen gegen Feinde zu verteidigen, verlangte Fähigkeiten, für die es zwar ein biologisches Potential geben mag, doch die zugehörigen typisch „männlichen“ Eigenschaften mußten kulturell erst hergestellt werden. Bei diesem Vorgang spielten Werte eine wichtige Rolle: Ein Mann konnte sich vor allem dann „männliche“ Ehre erwerben, wenn er bereit war, sein Leben für überindividuelle Ziele herzugeben. Wenn er eigene Interessen zugunsten von Gruppeninteressen opferte, war er ein Held. Die für das Helden-Dasein notwendige Selbstverleugnung war aber nicht einfach als „natürlich“ vorauszusetzen. Schließlich konnte man(n) vom Brot der Helden schlecht leben, wenn sich damit auch umso besser sterben ließ.

 

War das Leitbild männlicher Sozialisation also über lange Zeiten hinweg der Krieger, so war die Mutter das Leitbild der weiblichen Sozialisation. Der Mann, der Held, der Tod – der Heldentod des Mannes ist ein kulturelles Ereignis; in vielen Kulturen und über lange Zeiten hinweg galt dieser Tod als Höhepunkt einer männertypischen Sozialisation. Die Frau, die Schwangerschaft, die Geburt – auch damit verbinden sich gewiß kulturelle Elemente, doch im Kern blieb Mutterschaft ein natürliches Ereignis. „Natur“ bedeutet dem Wortsinn nach denn auch all das, was ohne fremdes Zutun wird und wächst. Das deutsche Wort „Natur“ ist vom lateinischen „natura“, Geburt, abgeleitet. Die Tatsache, daß dem Mann assoziativ eher die Kultur, der Frau eher die Natur zugeordnet wurde, mag eben mit diesen Hintergrund haben: Während der „männliche“ Produktionsprozeß die Beherrschung der Natur zum Ziel hat, gleicht der „weibliche“ Re-Produktionsprozeß jenem der Natur. Das bedeutet allerdings nicht, es sei der These zuzustimmen, die Frauen hätten weniger als die Männer zur Entwicklung der Kultur beigetragen.

 

Nur in einigen traditionellen Gesellschaften, in denen kein Mangel an natürlichen Ressourcen herrschte und die aufgrund ihrer geographischen Lage kaum mit äußeren Feinden zu rechnen hatten, blieb es den Söhnen erspart, dem Leitbild eines „typischen“ – das heißt: kampfbereiten, heroischen – Mannes nacheifern zu müssen. In der Mehrzahl der traditionellen Gesellschaften erforderte die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung eine männerspezifische Sozialisation, deren Leitbild der sich selbst (für die Gemeinschaft) aufopfernde Krieger war. Sollte aus dem Sohn ein solcher Mann werden, dann war die Abkehr vom Weiblichen und damit verbunden die Abwendung von den infantilen Wünschen, bei der Mutter zu bleiben oder wie die Mutter zu werden, unerläßlich. Zentrales Anliegen vieler Vermännlichungsriten war es daher, die Bereitschaft zum Verzicht einzuüben – dessen psychologischer Kern der Verzicht auf den Wunsch nach der Mutter ist. Schließlich hat es noch niemals Männer gegeben, die zuhause, in der Nähe der Mutter, „Helden“ geworden wären. Ganz im Gegenteil: solche Männer werden als Muttersöhnchen beschimpft. Die Reise, die Ablösung von der Mutter, und der Kampf (mit dem männlichen Rivalen) gehören daher unabdingbar zum Lebensweg des männlichen Helden.

 

Zwar zeigt der interkulturelle Vergleich eine relativ große Variabilität der durch das biologische Geschlecht jeweils legitimierten Rollen, aber diese waren nicht beliebig. Sie fanden in allen bekannten Gesellschaften ihre Begrenzung in den „Fortpflanzungsimperativen“ (Money, Ehrhardt 1975, 145). In traditionellen Gesellschaften war damit eine „genau definierte Komplementarität der Geschlechterrollen“ festgelegt (Money, Ehrhardt 1975, 145). Die Verhaltensweisen waren vorgeschrieben, die ein „richtiger“ Mann oder eine „richtige“ Frau zu zeigen hatten; und es stand auch fest, welche Interaktionen zu welchen Zeiten zwischen Männern und Frauen erwünscht und welche verboten waren. Das je konkrete Paar hatte also nur noch einen geringen Spielraum zur Verfügung, um die Formen der Begegnung auszuhandeln – anders als heute, da jedem Paar nahezu jede Form der Interaktion „frei“-gestellt ist, weshalb das moderne Paar vor der schier überwältigenden Aufgabe steht, sich unentwegt neu zu definieren und die Beziehungsgestalt immer wieder neu auszuhandeln.

 

Die Einhaltung der bereits durch das Geschlecht festgeschriebenen sozialen Regeln, die in traditionellen Gesellschaften galten und allenfalls durch Regeln ergänzt oder konterkariert wurden, die aufgrund von Klassenunterschieden bestanden, vermittelte Männern wie Frauen bei aller Einschränkung und Unfreiheit doch ein hohes Maß an sozialer Sicherheit, Anerkennung und Selbstbestätigung. Das sozial verankerte Identitätsgefühl war so mit der „natürlichen“ Zugehörigkeit zu einem Geschlecht und mit der „kulturell“ vorgegebenen Geschlechterrolle assoziiert, mit einer Rolle, die außerdem durch den Kult festgelegt war und deshalb auch religiöse Bedeutung hatte.

 

Allerdings waren derartige Vorgaben mit Zwängen verbunden. Von diesen Zwängen konnten sich die Geschlechter nur zu bestimmten Anlässen – und auch dann nur vorübergehend – befreien. Das religiöse Fest ermöglichte solche zeitweiligen Grenzüberschreitungen, die Aufhebung der irdischen Ordnung zugunsten einer sakral inszenierten Rückkehr in eine außergesellschaftliche Ordnung. Diese identitätsauflösende Funktion der Feste, die als Fruchtbarkeitsorgien oder Opfer-Mord gefeiert wurden, blieb jedoch stets an kollektiv organisierte Riten gebunden, verdankte sich also niemals einer nur individuell zu legitimierenden oder zu verantwortenden Umkehrung (Perversion) der gesellschaftlichen Ordnung.

 

Das zu bestimmten Anlässen wiederkehrende Fest kann man als eine Form der Erlösung von den Zwängen der alltäglichen Ordnung, als einen Akt der Befreiung, der Regression verstehen, der allerdings auch die gewohnten Sicherheiten dispensierte, also auch Angst provozierte. Zum Fest gehörten somit der Schrecken und dessen Besänftigung. Vor allem aber gestattete das heidnisch-religiöse Fest die Erfahrung der Erlösung als gegenwärtiges Ereignis, als Freiheit, die nicht erst in ferner Zukunft oder gar erst nach dem Tode zu finden ist.

 

Die Verdammung solch „heidnischer“ Bräuche der Grenzüberschreitung als nicht gottgefällig setzte ein neuartiges religiöses Verständnis voraus und begründete ein neuartiges Zeit-Erleben: An die Stelle der erfahrbaren Erlösung, die während eines kurzen „unhistorischen Augenblicks“ (vgl. Nitzschke 1991), aber dennoch innerhalb der Lebenszeit eintreten und sich zyklisch wiederholen konnte, traten die Linearität der Zeit und das Versprechen der Erlösung am Ende aller Zeiten. Diese neue, moderne Form der Erlösung war sinnlich nicht mehr erfahrbar; an sie konnte deshalb nur noch geglaubt werden. Die zeitlich begrenzte Befreiung, die das „heidnische“ Fest kultivierte, mußte zugunsten der messianischen Verheißung einer endgültigen, allerdings erst in der Endzeit eintretenden, Erlösung aufgegeben werden. Die vorübergehende Aufhebung der Ordnung, die das „heidnische“ Fest ermöglichte, war damit unmöglich geworden.

 

Auch die Elternschaft – bzw. deren Aufteilung in Mutter- und Vaterschaft – war in vielen traditionellen Gesellschaften nur im begrenzten Sinne individuelles Ereignis. Elternschaft war in erster Linie ein die gesamte Gruppe betreffendes Geschehen. Die Gruppe wachte darüber, wer sich in welchem Maße fortpflanzen durfte. Noch lange galt selbst in Europa die Vorschrift, daß nur der Mann „einen eigenen Haushalt gründen oder übernehmen konnte“, also heiraten durfte, von dem feststand, daß er die Familie auch ernähren konnte. Das bedeutete in England zur Shakespear-Zeit wegen der dort vorherrschenden Primogenitur, daß „der älteste Sohn oft erst nach dem Tode des Vaters den Hof führen und eine Ehe eingehen konnte. Der nächstjüngere Sohn heiratete mitunter erst nach dem Tode des älteren Bruders. Der Prozentsatz der lebenslang Unverheirateten“ blieb dementsprechend hoch (Breuer 1989, 30).

 

Die Kontrolle über die Fortpflanzung behält sich also in traditionellen Gesellschaften die Gemeinschaft vor. Deshalb gibt es für das Individuum unter solchen gesellschaftlichen Bedingungen auch nicht das Recht, mit nichts als nur mit Luft oder Liebe eine „neue“ Familie zu „gründen“. Familien bestanden ohnehin über Generationen hinweg, sie mußten daher nicht erst „gegründet“ werden. Das Individuum hatte allenfalls das Recht (und die Pflicht), den weiteren Bestand der Familie – und zwar im Interesse der Familie – für die Zukunft zu sichern. Die Freigabe der Ehe an alle war ein spätes, vor allem aber war es ein modernes Ereignis, das die Aufhebung vieler bis dahin gültiger Regeln voraussetzte. Die Heirat aus Liebe, die jetzt möglich wurde, ist an eine neue Ordnung der Familie gebunden (vgl. Shorter 1976). Galt eine Heirat aus Liebe vormals bestenfalls als Ausnahme oder poetisches Phänomen und schlimmstenfalls als Torheit, Fauxpas oder als ein Vergehen, das die betroffenen Kollektive (Familien) zu verhindern oder doch wenigstens zu bestrafen wußten, so wurde die Liebesheirat in modernen Zeiten zur neuen Freiheit, in der sich Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der Liebenden ausdrücken sollten. Es entstanden neue Ideale – die zu neuen Zwängen wurden: die romantische Liebe sollte nicht nur Ehen stiften, sie sollte auch lebenslänglich dauern.

 

Auch die Riten und Gebräuche im Zusammenhang mit Geburt und Mutterschaft, die Nadig (1989) am Beispiel einer indianischen Gegenwartskultur in Mexiko beschreibt, weisen die Einbettung der Familie in das Kollektiv nach. Dabei ist die Geburt ein Ereignis, das keinesfalls nur die je konkrete Mutter, die Eltern des Kindes oder auch nur die Kernfamilie betrifft. Manche traditionellen Gesellschaften legten offenbar großen Wert darauf, die „Allmacht“ der Mutter über das Kind so früh wie möglich zugunsten einer machtvollen Teilhabe des Kollektivs am Entwicklungsprozeß des Kindes zu begrenzen. Im Falle der von Nadig beschriebenen Gemeinschaft übernehmen sofort nach der Geburt neben der Mutter auch der Vater und andere Familien- und Gruppenmitglieder mütterliche Funktionen für das Kind. Dadurch relativiert sich die All-Macht der Mutter. Sie muß ihre Macht über das Kind – und sie darf ihre Pflichten für das Kind – mit anderen Gruppenmitgliedern teilen. Das entlastet die Mutter, denn sie trägt weniger Verantwortung für das Kind und wird selbst vom Kollektiv getragen. Undschließlich verliert das Kind unter diesen Umständen nicht „alles“, wenn es zeitweise oder für immer (etwa durch frühen Tod) die leibliche Mutter verlieren sollte.

 

2

„Wer nie verreist, lobt die Küche seiner Mutter“ (Sagan 1987, 287)

oder

Warum gerade vaterlose Söhne die „männlichsten“ Männer werden können

 

Mythische Reisen, die der Held unternimmt, heiße er Ödipus oder Odysseus, von denen der eine seine Eltern, der andere seine Frau verläßt, um sie wiederzufinden, sind Reisen, die auf symbolische Weise den Prozeß (oder einen Teilabschnitt) der Individuation darstellen. Es geht um Loslösung, Selbständig-Werden. Gelöst werden alte Bindungen. Glückt dies, so geschieht das auf eine kunstvoll Weise, nämlich so, daß die Bindungen nicht eigentlich zerstört, sondern nur umorganisiert werden. Damit können sie als Fundamente für neue Bindungen verwendet werden.

 

Zwischen der alten und der neuen Bindung liegt ein Moratorium, eben die Reise, auf die sich nach klassischer Sicht derjenige begibt, der ein Individuum werden will. Zurückgelegt wird eine Strecke, die scheinbar linear, also progressiv durchlaufen wird. Doch im Verlauf der Reise stellt sich heraus, daß das Ziel und der Ausgangspunkt der Reise eine Einheit bilden, ohne daß beide Orte deshalb identisch wären. Das ist das er-fahrbare Geheimnis der mythischen Reise: Vergangenheit und Zukunft bilden eine Einheit, die in der Gegenwart erlebt werden kann. Der Sohn sucht auf der mythischen Reise den Vater (vgl. van der Lee 1957). Wenn er ihn trifft und beseitigt, öffnet sich der Weg zurück zur Mutter, also der Wunsch-Weg, der – im Falle des Ödipus – geradewegs in die Katastrophe führt. Held im Sinne einer geglückten mythischen Reise ist hingegen derjenige, der den Verlust, das Trauma der Geburt, die Erfahrung einer Aussetzung bewältigen und deshalb den Wunsch nach Rückkehr in den Mutterleib aufgeben kann. Damit befreit er sich von einem Zwang, vom Wiederholungszwang.

 

Erinnern wir uns: Freuds (1905) dritte Abhandlung zur Sexualtheorie trägt den Titel „Die Umgestaltungen der Pubertät“. Beschrieben werden die Schritte, die notwendig sind, um eine Ablösung der Libido von den primären Liebesobjekten zu erreichen. Dies wäre die Voraussetzung für neue geglückte postpubertäre Bindungen. Die Dialektik von Bindung und Trennung, die den Identitätsbildungsprozeß von Anfang an begleitet, gewinnt zur Zeit der Pubertät also eine besondere Dramatik: Wer sich jetzt binden will, ohne zuvor die Trennung gewagt zu haben, wird in künftigen Bindungen alte Kämpfe um Autonomie und Ablösung wiederholen müssen, ohne hoffen zu dürfen, eine Lösung seiner Konflikte finden zu können.

 

Freud meinte, eine geglückte Liebe zwischen den Geschlechtern setze die „Überwindung und Verwerfung“ der „inzestuösen Phantasien“ voraus. In diesen Phantasien sind erste Lieben fixiert, inzestuöse Lieben. Die Lösungs- und Überwindungsversuche, die das pubertär-adoleszente Drama kennzeichnen und auf eine Umorganisation primärer Lieben zielen, gehören deshalb zu den „bedeutsamsten, aber auch schmerzhaftesten, psychischen Leistungen der Pubertätszeit“. Dabei geht es auch um die „Ablösung von der Autorität der Eltern, durch welche erst der für den Kulturfortschritt so wichtige Gegensatz der neuen Generation zur alten geschaffen wird“ (1905, 128). Das bedeutet: Verzicht, Verlust von Heimat, vorübergehende Einsamkeit. Solche Einsamkeit zu ertragen und Verluste zu bewältigen, ohne daran zu zerbrechen und ohne dem regressiven Wunsch zu verfallen, in alte Bindungen zurückzukehren, all das wäre „heldenhaft“ oder doch zumindest Voraussetzung für Individuation.

 

Wenden wir uns den „Helden“ im engeren Sinne, also den Söhnen zu, die nach traditionell „kriegerischem“ Ideal zu Männern werden sollen. Nach traditioneller Lesart erobert der männliche Held den Außenraum, während der Innenraum als Metapher der Weiblichkeit gilt. Die Reisen des mythischen Helden – etwa die des Odysseus – führen jedoch nur vordergründig durch die weite äußere Welt. Schon ein zweiter Blick enthüllt die Hinter- und Abgründe dieses vermeintlichen Außenraumes. In ihm verbirgt sich die innere Welt, die Welt der infantilen Wünsche und Ängste des Helden, der seine eigene Unterwelt durchquert. Also reist er durch eine Traumwelt, wobei die Vergangenheit vorübergehend Wirklichkeitscharakter, Gegenwartscharakter annimmt: Flectere si nequeo superos, acheronta movebo.

 

Die Identität des Helden bildet sich im Verlauf einer solchen Reise, im Verlauf des Kampfes mit sich selbst, mit eigenen Wünschen und Ängsten. Sie ist das Resultat eines Verzichts auf infantile Formen der Wunschbefriedigung, und das bedeutet: Verzicht auf frühe Formen der Interaktion mit der Mutter. Modifiziert wird der Wunsch aller Wünsche, der auch die Angst aller Ängste (beider Geschlechter) bedingt: der Wunsch nach völliger Hingabe, nach Selbstaufgabe, nach Wieder-Auflösung der Identität, der – wie ausgeführt – im „heidnisch“-religiösen Fest aufgegriffen und als kollektives Ereignis kultiviert, aber auch begrenzt wurde. Nach Abschaffung des „heidnischen“ Festes – und der damit verbundenen Abschaffung des Kollektivs im ursprünglich festlich-religiösen Sinn – ist das Individuum mit seinen regressiven Wünschen allein. Also bleibt es auch einsam mit der durch diesen Wunsch provozierten Angst konfrontiert. Dieser Wunsch nach Grenzverlust will Ewigkeit, „tiefe, tiefe Ewigkeit“ (Nietzsche). In ihm überlebt die alte Sehnsucht nach dem Tod, die in der Nähe des geschlechtlichen Begehrens wieder geweckt werden kann (vgl. Spielrein 1912). Daher ist das Schicksal des Ödipus, der als Sohn den Vater erschlägt und damit denjenigen beseitigt, der zwischen dem inzestuösen Wunsch und der Mutter vermitteln könnte, tragisch: Auf dem Umweg über den Tod des Vaters kommt es zur Wieder-Einverleibung, Wieder-Verschlingung des Kindes durch die Mutter. Die Ausschaltung des „Dritten“ führt zur Aufhebung jedweder Differenz, nicht nur zur vorübergehenden, sondern endgültigen Auflösung aller Grenzen. Das Schicksal des Ödipus symbolisiert deshalb das Scheitern der männlichen Individuation.

 

Werfen wir nach dieser Erinnerung an mythische Bilder einen Blick auf „primitive“ Völker. Bei manchen in Papua-Neuguinea lebenden Stämmen entziehen sich die Männer als Erwachsene weitgehend den Frauen. Deshalb sind sie für ihre Kinder auch als Väter kaum verfügbar. Das führt zur verstärkten und verlängerten Bindung der Kinder an die Mütter. Wenn die so weitgehend vaterlos aufwachsenden Söhne in die Pubertät kommen, wird ihre bis dahin emotional enge Bindung an die Mütter abrupt und schmerzhaft unterbrochen. Die Bindung wird also nicht schrittweise aufgelöst, vielmehr wird sie traumatisierend beendet. Worin aber besteht die Wirkung eines Traumas? – Seelische Abläufe von hoher emotionaler Intensität, die nicht zu Ende gebracht, vielmehr unterbrochen werden, bedingen Fixierungen, die Wiederholungen erzwingen. Der Sinn der Wiederholungsversuche liegt dann darin, den unterbrochenen Ablauf wieder aufzunehmen, um ihn vielleicht doch noch zu einem befriedigenden Ende zu bringen.

 

Bei den Stämmen Papua-Neuguineas werden die Knaben, sobald sie von den Müttern getrennt sind, Initiationsriten unterworfen, deren Ziel es ist, die Liebe zur Mutter mit einem Schlage oder mit vielen heftigen und schmerzhaften Schlägen auszutreiben. Zu diesen Praktiken gehören symbolische Formen der Kastration, rituelle Homosexualität und eine mehrjährige Isolation gegenüber Frauen. Während dieser Zeit werden Frauen als schmutzige, unreine und gefährliche Wesen dargestellt. Die Entwertung des Weiblichen soll offenbar die vom Initianten geforderte Verzichtsleistung erleichtern; gleichzeitig wird die schmerzhaft zu erwerbende Männlichkeit als erstrebenswert und überlegen aufgewertet. So entsteht ein Wall aus Angst und Verachtung gegen infantile Sehnsüchte, der vor den in der Beziehung zur Mutter möglichen Erlebens- und Bindungsmodi schützen soll. Der emotionale Panzer dieser Männer bildet sich spät und setzt Gewalt voraus. Hinter der Schale, im Kern der Männlichkeit, leben die verbotenen infantilen Wünsche allerdings fort, zumal die zugehörigen infantilen Bindungen nicht schrittweise gelöst, vielmehr nur traumatisierend unterbrochen worden sind. Deshalb müssen die infantilen Wünsche im Erwachsenenalter durch strenge Distanzvorschriften in Schach gehalten werden.

 

Lidz und Lidz sind der Auffassung, die Konsequenzen dieses in Neuguinea verbreiteten Sozialisationsmodells, vor allem aber dessen psychische und interaktionelle (die Beziehung zwischen den erwachsenen Männern und Frauen betreffende) Folgen ließen sich auch auf unsere Gesellschaft übertragen. So wäre ein besseres Verständnis auch jener Kinder möglich, die in unserer Gesellschaft „in vaterlosen Familien aufwachsen“, meinen die Autoren. Und auch die in unserer Gesellschaft verbreitete „hypermaskuline Fassade“ vieler Männer, die „Frauen abwerten und unterdrücken“, wäre in diesem Lichte als „Ausdruck einer Reaktionsbildung“ (1991, 132) zu verstehen. Ähnliche Überlegungen bewogen Stephens (1962), die Sozialisationspraktiken „primitiver“ Völker zu vergleichen. Dabei wollte er jene Faktoren ermitteln, die dazu beitragen, die Mutter-Kind-Beziehung besonders eng zu gestalten, beziehungsweise den Kontakt des Kindes zum Vater besonders stark einzuschränken. Das ist immer dann der Fall,

 

(1) wenn ein Mann mit mehreren Frauen verheiratet, also Polygynie institutionalisiert ist, weshalb die Mutter sehr viel mehr Zeit mit ihren Kindern als mit dem Mann verbringt, den sie mit anderen Frauen teilen muß;

 

(2) wenn der Mann außerhalb des Hauses der Frau lebt, die Wohn- und Schlafgemeinschaft deshalb auf den Mutter-Kind-Haushalt reduziert ist;

 

(3) wenn ein rigides Post-Partum-Tabu institutionalisiert ist und nach der Geburt eines Kindes für lange Zeit eine Trennung, die auch mit geschlechtlicher Abstinenz einhergeht, zwischen den Ehepartnern vorgeschrieben ist.

 

Die genannten Bedingungen begünstigen eine vergleichsweise intensive und lang andauernde „vaterlose“ Gemeinschaft des Kindes mit der Mutter bei gleichzeitig ausgedünnten emotionalen Beziehungen zwischen den Ehepartnern. Es ist anzunehmen, daß die Frauen unter solchen Bedingungen einen großen Teil ihrer emotionalen Bedürfnisse, die durch den erwachsenen Partner (Ehe-Mann) nicht befriedigt werden (können), an ihre Kinder richten. Stephens versteht die unter solchen Sozialisationsbedingungen gehäuft anzutreffenden harten Pubertätsriten, denen die heranwachsenden Knaben unterworfen werden, deshalb ähnlich wie Lidz und Lidz, nämlich als verspätet einsetzende Anstrengung die Abgrenzung des Männlichen vom Weiblichen durchzusetzen. Außerdem zeichnen sich die von Stephens beschriebenen Gruppen durch besonders repressive Sexualnormen aus, denen sowohl Mütter wie Kinder unterworfen werden. Sinn dieser Verbote ist es, die emotional intensive Mutter-Kind(Sohn)-Beziehung vor Entgleisung in explizit sexuelle Handlungsweisen zu schützen.

 

Die hohe emotionale Intensität der Mutter-Kind-Beziehung unter den von Stephens beschriebenen Bedingungen führt sekundär zu einer hohen Konfliktspannung, zu deren Bewältigung unterschiedliche Abwehrformen eingesetzt werden. Dazu gehört die Spaltung der realen Mutter in eine asexuell-“reine“ und in eine verführerisch-“böse“ Frau. Auch die  Aussonderung und nachfolgende Isolierung aller als sexuell interpretierbaren emotionalen Regungen dienen dieser Abwehr. Die ursprünglich emotional komplexe Beziehung zwischen der Mutter und dem Kind wird auf diese Weise um wichtige Komponenten reduziert. So lassen sich zunächst ein höherer Stabilitätsgrad und eine scheinbar konfliktfreiere Beziehung erreichen. Nachteil dieser Komplexitätsreduktion bleibt, daß das unter solchen Bedingungen sozialisierte Kind kaum Erfahrungen machen kann, wie innerhalb einer Beziehung mit sexuellen (und aggressiven) Triebwünschen sinnvoll und entwicklungsförderlich umzugehen wäre. Damit fehlen dem späteren Erwachsenen Kindheitserfahrungen, die es ihm ermöglichen könnten, auch sexuelle oder aggressive Komponenten in eine emotional intensive Beziehung zu integrieren, ohne daß daraus notwendigerweise explizit sexuelle Handlungen abgeleitet werden müssen.

 

Das Tabu begründet zwanghaft-phobische Vermeidungshaltungen und verhindert die Entwicklung der Fähigkeit zur abgestuften Regulation von Nähe und Distanz unter Einbeziehung auch solcher sexuellen und aggressiven (Er-)Regungen, deren Ausreifung für die Entwicklung einer gefestigten (Geschlechts-)Identität und Heterosexualität notwendig wäre. Das freie Erleben intensiver Gefühle, das für die spätere sexuelle Begegnung der Geschlechter wichtig ist, wird so bereits in der Kindheit blockiert.

 

Es gibt Indizien, die darauf hinweisen, dass eine spezifische Art betonter und übertriebener Männlichkeit, für die sich die Bezeichnung Machismo eingebürgert hat, das Resultat einer besonders engen Bindung des Sohnes an die Mutter sein könnte. Auch in diesem Fall kommt es zur Spaltung: die zärtlichen Regungen richten sich lebenslänglich auf die Mutter, während die explizite Sexualität an anderen Frauen umso gewalttätiger exekutiert wird. Historisch gründet der Machismo in Kulturen, die in Folge der Eroberung und Unterwerfung Mittel- und Südamerikas entstanden sind. Die Konquistadoren kamen aus der katholischen Welt des Mittelmeerraumes, in der die Mutter als Gottheit (Mutter Gottes) hoch im Kurs stand (und immer noch steht). Während sie die überirdische Mutter verehrten, unterwarfen sich die Konquistadoren die irdischen Frauen der „neuen“ Welt.

 

Auf seiner „Reise“ erobert, plündert und vergewaltigt der Konquistador. Er fühlt sich als überlegener Krieger und bleibt doch in seiner Ehre jederzeit verletzbar. Er verkörpert, was man heute eine narzißtische Persönlichkeit nennen würde. Entwurzelt zieht er durch die Welt, ohne Möglichkeit zur Rückkehr. Da er selbst gebunden bleibt, zerstört er stellvertretend die sozialen und emotionalen Bindungen der anderen Menschen. Er entehrt, was er entbehrt – Heimat und Bindung. Opfer und Täter in einer Person, ist er das historische Vorbild aller Gesetzlosen, die sich entschließen, das Gesetz in die eigene Faust zu nehmen. In einem Bericht aus dem Jahre 1516 heißt es über die Konquistadoren:

 

„Einige (...) sahen unterwegs eine Indianerin, die ein Kind in den Armen hielt und es gerade stillte, und weil einer der Hunde, die sie mitführten, Hunger hatte, nahmen sie der Mutter das Kind aus den Armen und warfen es lebend dem Hund vor, der es dann vor den Augen der Mutter in Stücke riß“ (zit. n. Todorov 1985, 170).

 

Die Wut auf alles, was den Desperado an die mütterliche Bindung erinnert, und der Neid auf all jene, die sich in dieser Bindung wohl fühlen, weil sie die Bindung nicht als Fessel erleben müssen, weil sie sich lösen konnten, um für eine neue Bindung frei zu sein, erklären die Raserei des nur scheinbar freien, tatsächlich aber traumatisch gebundenen Desperados. Das gilt nicht nur für die Eroberer von damals. Das gilt auch für die Landsknechte von heute – zum Beispiel für Kit, Justin und Roy, die sich als Söldner im jugoslawischen Bürgerkrieg verdingten und bereit waren, in einem Dokumentarfilm der BBC („Wir wollen einfach töten“, 1992) über ihre Motive Auskunft zu geben:

 

Kit (der nach dem Tode seiner Frau keinen Sinn mehr im bürgerlichen Leben erkennen konnte): „Als meine Frau starb, fiel mein Kopf auseinander. Alles war weg. Als ich meine Frau kennenlernte, brachte sie Ordnung in mein Leben, sie gab mir eine Perspektive. Und als sie starb, war alles vorbei. Alles. Ich war randvoll mit Haß, ich war böse, eklig (...). Das, was ich hier so mache, ist irgendwie eine gute Strafe. Auch wenn das eine Strafe ist, die mir Spaß macht, auch wenn ich für mein Leben gern Soldat bin.“

 

Justin (der das Mordhandwerk in der britischen Armee erlernt hat, sagt über seinen früheren Ausbilder): „Ich kann mich noch an seine Fotos vom Falklandkrieg erinnern. Er zeigte mir da ein Foto von einem Argentinier, dem der Kopf fehlte. Und er daneben, er hatte den Kopf an den Haaren hochgehalten und lachte einfach (...). Die meisten Soldaten wollen solche Andenken. Mit so was stehen sie einfach gut da. Das gibt mir meine Identität.“

 

Roy: „Das ist gerade so, wie’s wohl in Vietnam war: du bist dein eigenes Gesetz: ah! Niemand mischt sich ein.“

 

Als Vor- und Nachbilder solch heimat- und bodenloser Existenzen erscheinen viele Helden im US-Western. Deren tatsächliche Physiognomie enthüllt allerdings erst der Italo-Western, der das amerikanisch-männliche Leitbild bis zur Karikatur verfremdet. Mit dem Italo-Western-Held kehrt der amerikanische Mann zudem in den katholisch geprägten Mittelmeerraum zurück. Dort entblößt er sich, schiebt er die Kulissen der Traumfabrik Hollywood beiseite und entlarvt den amerikanischen Traum.

 

Der Held im Italo-Western ist ein Bastard, ein Mestize, für den der amerikanische Traum nur tödlich enden kann. Immerhin hat er genug „weißes“ Blut in sich, um zu wissen, worauf es in der „neuen“ (modernen) Welt ankommt. Weil er aber kein Weißer ist, braucht er zum Töten auch keine „weiße“ moralische Lizenz. Er muß seine Mordlust also nicht mehr mit einer weißen Weste tarnen oder mittels „weißer“ Werte verleugnen. Also kommt er ohne die Maske der Moral und ohne die Uniform des gerechten Kriege(r)s aus. Also zeigt er sich nackt – so wie ihn der Teufel (der Kolonisation) schuf. Dieser moralischen Freiheit entspricht sein vollkommener Narzißmus. Der Italo-Western-Held muß keine herrschende und auch keine neue Weltordnung verteidigen, vielmehr die bestehende nur so genau wie möglich kennen, um unter ihren Bedingungen überleben zu können.

 

Der klassische US-Held glaubt zwar auch nicht an eine hier und jetzt gegebene heile Welt, doch hat er, soweit er als „guter“ Held auserwählt ist, den Auftrag, die in Unordnung geratene Welt wieder zu ordnen (zu heilen). Als „böser“ Held bezahlt er hingegen mit dem Leben, weil er der Wiederherstellung des Guten, also der gerechten Weltordnung, im Wege steht. In der Regel erhält er zuvor noch eine letzte Chance, damit er sich einem Läuterungsprozeß unterziehen kann. Hat er diese Chance vertan, dann kann er – „im Namen des Gesetzes“ – guten Gewissens umgebracht werden. Und damit ist am Ende alles wieder gut, das heißt, die „Bösen“ sind vernichtet und die gerechte Weltordnung hat sich stärker als jede individuelle Regung, von dieser Ordnung abzuweichen, erwiesen.

 

Das Wissen um die tatsächliche Unbesiegbarkeit der herrschenden Weltordnung setzt der Italo-Western-Held immer schon voraus. Es ist dieses Wissen, das den Zynismus dieses Anti-Helden begründet, der bei genauestem Hinsehen als der letzte Moralist im Morast sittlicher Korruption zu erkennen ist. Im zynischsten Film des Genres pflastern Leichen den Weg des Anti-Helden – so wie im Falle des historisch-gesellschaftlichen Prozesses Leichen den Weg des Fortschritts und des Erfolges pflasterten.

 

Im Film „Leichen pflastern seinen Weg“ (1968; Regie: Sergio Corbucci) lebt der Anti-Held (verkörpert von Klaus Kinski) gut in, von und mit einer Gesellschaft, die längst auf die Stufe der Barbarei zurückgefallen ist, wenngleich sie, ihrer Ideologie gemäß, meint, Humanität zu repräsentieren. Die Insignien der Zivilisation – im konkreten Fall: das Kopfgeld, das als Prämie, dead or alive, für die Ausschaltung der Feinde der Zivilisation ausgesetzt ist – sind Beweis genug für die herrschende Barbarei, für das Gesetz des Dschungels, das dem der Eisenbahngesellschaft gleicht, also für das Gesetz der feinen Leute, das der Anti-Held zu seinen Gunsten anzuwenden versteht. Unter diesen gesellschaftlichen Umständen wäre ein Leben, das von Menschlichkeit geprägt wäre, „lebensgefährlich“ (vgl. Esser (1985). Also streicht der Anti-Held jede menschliche Regung aus seiner Rolle. Oft enthüllt ein kurzer, geraffter Vorspann das Trauma der Kindheit des Anti-Helden: Die Eltern, die Familie, das Kollektiv, die Heimat, alles ging damals verloren, alles wurde vernichtet (womöglich von den Männern der Eisenbahngesellschaft, die stets den Fortschritt vertreten). Zu einer Zeit, in der der später „böse“ Held noch ein kleines hilfloses Kind war, wurde er Opfer des „Bösen“. Also wurde aus dem Kind ein traumatisch an seine Vergangenheit Gebundener, der später zerstört, was ihn zerstört hat. Damit wird das Hauptmotiv des Lebensweges des Desperados verständlich: die Rache. Das Handeln des Anti-Helden, dessen Erscheinen an die vergleichsweise politisierte Zeit der 1960er Jahre gebunden ist, erinnert an die erlittene Unterwerfung und Ausbeutung, an die vergewaltigte und geschändete Mutter, an den getöteten Vater, an die vernichtete Kultur. Auch wenn er später zum Täter wird, so bleibt der Anti-Held doch noch als Opfer erkennbar.

 

Als der Konquistador „amerikanischen“ Boden betrat, begegnete er einer Kultur, die den religiös legitimierten Mord, also das Menschenopfer, offen zelebrierte. Zur selben Zeit mutierte der Opferbrauch im Abendland zum Übergangsritual. Eingehüllt in das Gewand der Rechtsprechung verschwand er im Brauch Hexen und Zauberer zu foltern und lebendigen Leibes zu verbrennen. Dennoch war das Gefühl, einer höheren sittlichen Stufe der Menschheit anzugehören, bei den Mordbrennern der alten Welt, dieser „Massakergesellschaft“, ausgeprägt vorhanden, als sie über die „Opfergesellschaft“ herfielen, die sie in der neuen Welt vorfanden (Todorov 1985, 174). So konnten unter Berufung auf „weiße“ Werte die alten Kulturen „Amerikas“ guten Gewissens mit Hilfe von Mord, Totschlag, Krankheit, Hunger und Arbeit vernichtet werden. Abermals sei dazu aus einem zeitgenössischen Bericht zitiert:

 

„Jeder Minenverwalter hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, mit jeder Indianerin, die ihm unterstand und seinen Gefallen fand, zu schlafen, gleichgültig ob sie verheiratet oder noch ein Mädchen war; während er mit ihr in ihrer Hütte blieb, schickte er den bedauernswerten Ehemann (...) in die Minen, und wenn dieser abends zurückkehrte, prügelte er ihn und peitschte ihn aus (...), und oft kam es vor, daß er ihm wie einem Hund Hände und Füße zusammenband und ihn unter das Bett warf, auf dem er sich mit seiner Frau niederlegte“

(zit. n. Todorov 1985, 170).

 

Um zu den Siegern zu gehören, versuchen die Männer Lateinamerikas noch heute ihr Schicksal aktiv zu wenden, das heißt, sie müssen versuchen zu „Über“-Männern zu werden. Doch hinter der Fassade des Macho verbirgt sich auch weiterhin „das nagende Gefühl“ einer stets abrufbaren „Ohnmacht“. Also sehen sich die Männer zur Distanz gegenüber allem „Weiblichen“ gezwungen, um sich und ihre zerbrechliche Hülle vor zu intimen Berührungen und Umarmungen zu schützen (vgl. Rünzler 1988, 49f.). Daher unterwirft der Macho die Frauen (wie der Konquistador einst das Land), weil er bei weniger gewalttätiger Annäherung befürchten müßte „vom Weibe geschwächt, mit dessen Weiblichkeit angesteckt“ (Freud 1918, 168) zu werden. Also verbirgt er seine symbiotischen Wünsche unter einer Tarnkappe. Allenfalls im Mutterkult, den die mexikanische Gesellschaft in ebenso idealtypischer Form hervorgebracht hat wie den Machismo, ist die unaufgehobene Symbiose dieses Über-Mannes mit der allmächtigen Mutter, deren männliches Ebenbild er ist, doch noch zu erkennen. Die „ungebrochene Beziehung zu den Kindern“ ist denn auch für „die auf die Mutterrolle reduzierte Frau von größter Wichtigkeit“ (Rünzler 1988, 141). Gerade weil die Frau als Frau keinen Wert hat, muß sie sich als Mutter Wert verschaffen. Und wenn sie auch mit dem Alter ihren Mann verlieren sollte, ihre Kinder – vor allem: ihren Sohn – wird sie immer behalten:

 

„Je mehr (...) die Frau auf ihre Funktion als Hausfrau und Mutter reduziert wird, desto mehr sieht sie sich dazu gedrängt, ihr ‚Monopol’ auf die Kinder zu sichern. Überbeschützende Erziehungsmethoden, emotionale Abhängigkeit durch eine nie abzutragende Schuld an die Mutter, die sich für ihre Kinder ‚geopfert’ hat, und deren Erwartungshaltung an ihre Söhne, daß diese ‚ewig treu’ sein sollen, sind die Folge (...). Pointiert läßt sich sagen, daß das Ziel der Erziehung darin besteht, die Söhne männlich zu machen, und zu verhindern, daß sie erwachsen werden“ (Rünzler 1988, 142).

 

3

One world – Einheit ohne Differenz

Von der Übermacht des „männlichen“ Prinzips in der modernen Gesellschaft

 

Die Kategorien „männlich“ und „weiblich“, die von der Ungleichheit der Geschlechter zeugen, stifteten zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften ein fundamentales Ordnungsprinzip für die affektiv erlebte und für die gedanklich und sozial strukturierte Wirklichkeit. Dagegen revoltierten das utopische wie das anarchische Denken: gegen die mit der Geschlechterdifferenz verbundene Ordnung der Gesellschaft sowie gegen die Behauptung, jeder müsse sich unter Voraussetzung seines biologischen Geschlechts mit sich selbst identisch fühlen und dürfe deshalb für alle Zeiten nur die diesem einen Geschlecht zugewiesene Rolle spielen. Die Rebellion gegen die Beschränkung auf nur ein Geschlecht gehört zum infantilen Erbe beider Geschlechter (vgl. Fast 1991). Der Protest gegen die der Geschlechtertrennung folgende gesellschaftliche Ordnung gründet jedoch nicht nur im psychischen Unbehagen an einer Kultur, die zur Ausbildung einer Identität auffordert, die die Monosexualität als Voraussetzung für eine „reife“ Form der Heterosexualität behauptet. Vielmehr hatte dieser Protest immer auch soziale und politische Gründe, denn mit den jeweiligen Geschlechterrollen waren (und sind) nicht nur psychische, sondern auch soziale und politische Privilegien und Benachteiligungen verknüpft.

 

Das galt für die vielfach zitierte „patriarchale“ Ordnung in besonderem Maße. Der „Patriarch“, dem diese Gesellschaftsform ihren Namen verdankt, hat jedoch längst abgedankt. Er fiel genau jenem „männlich“-faustischen Fortschritts- und Eroberungsdrang zum Opfer, den er repräsentieren sollte. Deshalb kann man den Patriarchen auch als eine Figur begreifen, die man eher als Widerpart, denn als Kronzeugen modernster Zeiten zitiert werden könnte. Das „männliche“ Prinzip, das one world erzwingt, beseitigte nämlich am Ende den Patriarchen und herrscht seither unabhängig vom biologischen Geschlecht, weshalb jetzt auch Frauen gute „Männer“ werden und die anti-patriarchale Moderne vorantreiben konnten.

 

Als Patriarch galt einst der den Familienverband beherrschende Vater – ein Mann, der Vorrechte, aber auch wirtschaftliche Pflichten hatte. Dabei unterschied sich die „Abhängigkeit der Familienmitglieder von ihrem Oberhaupt (...) nicht substantiell“ (Donzelot 1980, 10) von jener, in der sich der Patriarch im Rahmen der damaligen gesellschaftlichen Hierarchie befand. Die Erschütterung dieser (feudalen) Ordnung, der die patriarchale Familienstruktur entsprach, war eine Folge ökonomischer Umwälzungen. Und die Etablierung der (klein-)bürgerlichen Familie war auch ein Resultat veränderter Arbeitsbedingungen. Einzelne, zunächst am Rande des patriarchalen Familien- und Sippen-Verbandes stehende Mitglieder konnten sich infolge wirtschaftlicher Veränderungen „emanzipieren“, das heißt, sie konnten eine nicht vom Patriarchen zugeteilte Arbeit aufnehmen, die es ihnen erlaubte, sich selbständig, also unabhängig vom Patriarchen, zu ernähren.

 

Die Entwicklung der modernen Industrien, die den „freien“ Arbeiter forderte, beförderte auch dessen „Emanzipations“-Prozeß. Der Arbeiter, der sich im Interesse des Fortschritts von traditionellen Familien- und Ortsbindungen zu lösen hatte, um jeweils dort seine Arbeitskraft anbieten zu können, wo die moderne Industrie sie benötigte, verdankte seine neu gewonnene Freiheit also dem Zwang ohne Rückbindung an „Heimat“, ohne Bindung an tradierte Werte, überleben zu müssen. Dieser idealtypische Arbeiter wird für Karl Marx zum Sinnbild der ent-fremdeten Lebens- und Existenz des Menschen. Er ist der Prototyp des modernen Menschen, der sich aus tradierten Zwängen befreit hat, aber noch einen weiteren Schritt machen müßte, um die modernen Zwänge zu überwinden, um das verlorene traditionelle Kollektive durch ein neues humanes Kollektive zu ersetzen. Während des Zwischenstadiums – auf dem Weg vom einen zum anderen Kollektiv – befindet sich dieser isolierte Mensch im Schwebezustand, im Zustand „falschen“ Bewußtseins. Da mag ihm dann der aufgeklärte „Intellektuelle“ begegnen, der beansprucht, den Prozeß der Geschichte und damit den der (Selbst)Ent-Fremdung reflektiert zu haben, und vorgibt, diesen Prozeß im Interesse des Arbeiters so gestalten zu können, daß am Ende alles wieder „gut“ sein wird. Wir erinnern uns: ein solches messianisches Versprechen gab es auch schon früher, wenngleich es anders begründet war. Der Weg von der Erbsünde ins Himmelreich hat eben verschiedene Gestalten.

 

Neben neuen Freiheiten bringt die neue Zeit also auch neue Zwänge mit sich. Dazu gehört ein Zwang, dem sich mit Beginn der Moderne die bürgerlichen Frauen zu unterwerfen haben: Sie sollen jetzt dem Bild der „neuen Mutter“ gleichen (Badinter 1991, 169). Diese neue Mutter wird für das Kind zur allgegenwärtigen und schließlich einzigartigen Person, die dem eingangs zitierten „allmächtigen“ Frauen-Bild Campes entspricht. Diese neue Mutter zeigt sich zuerst unter den „Frauen des wohlhabenden Bürgertums, die weder gesellschaftliche Ambitionen noch intellektuellen Ehrgeiz hatten und die es nicht nötig hatten, mit ihrem Mann zu arbeiten“ (1991, 171f. - Herv.: B.N.). Im Doppelsinn des Wortes lebten diese neuen Mütter am Rande der Gesellschaft: nicht in der Metropole, sondern in der Provinz;, und dort hielten sie sich im geschlossenen Heim auf, arbeiteten also nicht auf dem Feld, nicht auf dem Marktplatz und auch nicht in der Fabrik. Das geschlossene Haus ist „eine abgeschlossene Welt, in der sie (die Mutter-Frau) ungeteilt herrscht“ (1991, 172). In diesem hermetisch abgeschlossenen Raum leben jetzt die Frauen, die kontrollieren (ihre Kinder), kontrolliert wurden (von ihren Müttern) und kontrolliert werden (von ihren Männern). Sie lernen, sich immer besser selbst zu kontrollieren. Wächst in diesem Haus eine Tochter auf, so wird sie den geschlossenen Raum im (bürgerlichen) Idealfall zeitlebens nicht verlassen. Sie wird ihn verinnerlichen und nach der Eheschließung in ein anderes trautes Heim verlegen. Dem Sohn wird hingegen – zumindest äußerlich –ein anderer Weg vorgeschrieben. Er soll eines Tages den geschlossenen Raum der Mutter verlassen und sich draußen, in der Welt (des Vaters), bewähren. Dort soll er all das verdienen, was er braucht, um eines Tages für sich, seine Frau und seine Kinder ein neues abgeschlossenes Heim errichten zu können.

 

Etwa zur selben Zeit, in der die neuen Mütter erfunden werden, wird auch die Kindheit als eigenständiger, aus dem Leben der Erwachsenenwelt ausgegliederter Lebensabschnitt neu konzipiert. Es entsteht das Bild vom Kind als reinem Wesen, das in Gemeinschaft mit einer ebenso reinen Mutter aufwächst. Das Kind – genauer gesagt: das Bild vom Kind – durchläuft dabei einen zivilisatorischen Prozeß, in dessen Verlauf sich die zuvor vorhandene Gewißheit einer relativen „Schamlosigkeit“ des Kindes zur Überzeugung wandelt, das Kind sei von Natur aus rein, es verkörpere eine Unschuld, die allerdings relativ leicht zu verletzen, zu verführen oder zu mißbrauchen sei (vgl. Aries 1978, Teil I, Kap. 5). Zwar hat es die Scham schon in vormodernen Zeiten gegeben; doch jetzt wird dieser Affekt zu einer Größe, mit der die Erzieher systematisch rechnen, wenn sie die Reinheit im Herzen der Kinder (wie der Frauen) etablieren. Diese moderne Reinheit muß allerdings nicht mehr nur gegen die Unreinheit der Genitalien, sondern jetzt auch gegen all das verteidigt werden, was von „draußen“, aus der Welt des Vaters kommt. Dort gilt der Tausch, herrschen Konkurrenz, Neid und Mißgunst. Drinnen, im trauten Heim der Mutter, gibt es hingegen die Tugenden des unschuldigen Herzens, die um jeden Preis geschützt, gehegt und gepflegt werden müssen: die unvertauschbare Liebe, die lebenslange Treue, das Mitgefühl, die Dankbarkeit, das Vertrauen, kurz, all das, was in der „bösen“ Welt dort draußen gerade abgeschafft wird.

 

In der Gartenlaube hütet die Mutter-Frau das häusliche Glück, während der Vater-Mann außer Haus die materielle Absicherung dieses Glücks verdient, wobei er tunlichst all jene Tugenden zu vergessen hat, die er zuhause so sehr schätzt. Außer Hause treu an Beziehungen festhalten zu wollen, auch wenn diese ökonomisch längst zu Hindernissen auf dem Weg nach oben, zu Hindernissen für die Akkumulation und für die Rendite des Kapitals geworden sind, das wäre ökonomischer Wahnsinn. Die Tugenden des geschlossenen Hauses in der Öffentlichkeit zu praktizieren, bedeutete wirtschaftlichen Bankrott. Gerade weil die ökonomische Welt mit der des Geld verdienenden Vaters gleichgesetzt werden kann, wird der Vater-Mann zum Repräsentanten einer Welt, die der heimeligen Welt der Mutter-Frau vollkommen widerspricht und deshalb den ins traute Heim Eingeschlossenen immer un-heimlicher erscheinen muß. Ein weiterer Schritt und der Vater ist zum Kinderschreck geworden, von dem eine bis zum heutigen Tage gepflegte „sozialisationstheoretische Schauerromantik“ (Rutschky 1992) zehrt, die in jedem Vater einen potentiellen Kinderschänder (das ist der große böse Wolf aus dem Märchen) erkennt, der die kleinen Kinder fressen wird, sobald sie von der Mutter aus den Augen gelassen werden. Also müssen sich die Kinder jetzt immer ängstlicher an die Mutter klammern. Das wiederum bedeutet, dass die Aggressionen, die in der emotional überhitzten Idylle der bürgerlichen Mutter-Kind-Beziehung zwangsläufig entstehen, wegen des Zwangs zur Aufrechterhaltung des häuslichen Friedens weder wahrgenommen noch ausgetragen werden dürfen, weshalb sie nach außen projiziert werden.

 

Solchen Projektionen mag im Einzelfall das Verhalten eines innerlich infantil gebliebenen Vaters entsprechen, der den (sexuellen) Mißbrauch der Kinder offen betreibt, den die gesellschaftlichen Verhältnisse in verdeckter (emotionaler) Form den infantilisierten Müttern ohnehin als Pflicht vorschreiben. Und daneben gibt es auch noch den mißbrauchten Vater. Dazu wird der Mann, der bereit ist, nach seiner Rückkehr aus der außerhäuslichen Welt an den Kindern jene Strafen zu exekutieren, die von der Mutter tagsüber verhängt worden sind, jedoch an den Vater zur Ausführung delegiert wurden, weil nur so den häuslichen „Frieden“ zu sichern ist. Unter dieser Bedingung leben die Kinder dann schon tagsüber in der Angst vor dem Vater; und wenn der dann abends tatsächlich zuschlägt, ohne eigentlich zu wissen warum er das tut, können die Kinder anschließend wieder Trost bei der Mutter finden. Damit ist die emotionale Verwirrung komplett.

 

Solange jeder negative Affekt des Kindes gegenüber der Mutter den möglichen Verlust der Liebe der Mutter heraufbeschwört, muß das Kind alles vermeiden, was der Harmonie im Hause widersprechen könnte (vgl. Stenzel 1989). Also muß es seine aggressiven Affekte der Mutter gegenüber verleugnen. Ein Mindestmaß an erlaubter und vor allem an bewußter aggressiver Auseinandersetzung mit der Mutter wäre jedoch nötig, sollte die Ablösung des Kindes von der Mutter überhaupt gelingen.

 

Die „patriarchale“ Position des modernen Vater-Mannes, der seinen und den Unterhalt der Familie außer Hause verdient, war prekär, falls der Mann dem Proletariat und nicht dem gutsituierten Bürgertum angehörte. Der proletarisierte Vater verdiente nämlich nicht genug, um Frau und Kinder zu ernähren, geschweige denn, um deren Glück zu garantieren. Also blieb dieser Mann allenfalls als Popanz auf dem Thron patriarchaler Ansprüche sitzen, während die Lebenswirklichkeit seiner Familie der bürgerlichen Ideologie der Familie in jeder Hinsicht widersprach. Schließlich hatte das bürgerliche Konzept der romantischen Liebe wenig mit den Lebensmöglichkeiten der Proletarier zu tun. War diese Form der Liebe auch zu einem scheinbar jedermann und jeder Frau verfügbaren Massenprodukt erklärt worden, so fand sie ihren angemessenen Platz doch nur in Phantasien. Auch wenn sich solche Phantastereien im realen Leben nur selten verwirklichen ließen, glaubten viele, das müsse dann wohl an ihnen liegen, wenn sich das versprochene Glück nicht einstellen mochte.

 

Die bürgerlichen Ideologen der Kindheit, die das unter bäuerlichen oder proletarischen Verhältnissen aufwachsende Kind schlicht ignorierten, hatten dafür gesorgt, daß sich das Kind im Normal-Fall als a-sexuell begreifen ließ. Doch neben diesem Ideal-Fall entdeckte man immer mehr Ausnahmen: abartige Kinder, die das Stigma der infantilen Sexualität an sich trugen. Die Pädagogen des 18. und 19. Jahrhunderts machten dafür wahlweise Degeneration oder Verführung verantwortlich. Damit beginnt der theologisch, medizinisch und psychologisch munitionierte Kampf gegen die Sexualität im Allgemeinen und gegen die infantile Sexualität im Besonderen. Dieser Kampf richtete sich vor allem gegen die Selbstbefleckung, allerdings nicht gegen die Ursachen der zunehmenden autoerotisch-narzißtischen Befangenheit, vielmehr gegen die Folgen der Gefangenschaft, in die das Kind geraten war. Die „Onanie-Inquisition“, die von einer „sexualmoralischen Ketzer- und Hexenjagd“ begleitet wurde (Lütkehaus 1992, 12), verfolgte dabei mit neuen Methoden alte Ziele, nämlich die Schaffung eines ausgegrenzten und abgegrenzten „autonomen“ Individuums, das bereit und fähig sein sollte, sich – das heißt: seinen Körper – selbst zu disziplinieren und zu überwachen. In diesem Zusammenhang begegnet uns abermals der eingangs bereits zitierte Pädagoge Campe, der Ende des 18. Jahrhunderts die hochnotpeinliche Frage stellte:

 

„Wie man Kinder und junge Leute vor dem Leib- und Seele verwüstenden Laster der Unzucht überhaupt und der Selbstschändung insonderheit verwahren, oder, dafern sie schon angesteckt seyn sollten, wie man sie davon heilen könne?“ (zit. n. Lütkehaus 1992, 27f.).

 

Sexualität ist jetzt für „gesunde“ Kinder zu einer Krankheit geworden. Doch die Impfmethoden, die vor der Ansteckung schützen sollen, befördern das Laster nur noch mehr. Bald stehen die Fibeln, die vor der Onanie warnen sollen, auf den heimlichen Bestsellerlisten der Masturbanten. Und obgleich dem Feldzug gegen die Onanie ein durchaus richtiger Gedanke zugrunde liegt, nämlich der, daß die Isolation, in die das zwanghaft autoerotische Grimassen schneidende Kind geraten ist, für dessen emotionales Wachstum nicht förderlich sein kann, machen die im Kampf gegen das einsame Laster eingesetzten Mittel den richtigen Gedanken wieder zunichte. Der Kampf, der jetzt gegen den Trieb geführt wird, fördert nicht die Fähigkeit zur Ausreifung des Triebes und zur postpubertären Bindung, vielmehr verschärft er die Isolierung des Kindes und des Jugendlichen, wobei dem durch die Tabuierung der infantilen Sexualität und durch die Ghettoisierung der Kindheit unsozialisiert gebliebenen Trieb nun auch noch ein grausam strafendes Überich hinzugefügt wird.

 

Während das Kind unterm Diktat aufwächst, am besten nicht an sich selbst und schon gar nicht an die eigenen Genitalien zu denken, wird es unversehens zum vielbestaunten und umfassend bewachten Mittelpunkt einer Welt, in der die Erwachsenen das Kind und dessen Gefühle mehr und mehr verkitschen. Im Verlauf des begleitenden gesellschaftlichen Wandels schrumpfen zudem die Familien, bis endlich das Einzel-Kind mit der sicheren Überzeugung aufwächst, als Prinz oder Prinzessin zur Welt gekommen zu sein. Dabei entspricht diesem infantilen Wahn durchaus ein Stück Realität: Für die sozial und emotional isolierten Eltern wird das Kind zum Ersatz, zum lebendigen Mittelpunkt einer ansonsten weitgehend emotional entleerten Welt. Und weil die allein-stehenden Erwachsenen – zu denen immer mehr allein-erziehende Mütter gehören – einander immer hartnäckiger verweigern, was sie voneinander wünschen, wenden sie sich schließlich dem Kind als dem schwächsten Glied in der sozial-emotionalen Kette zu: Vom Kind wird jetzt ersatzweise verlangt, was zu geben sonst kein Mensch mehr bereit ist: emotionale Bindung – möglichst für immer und ewig. Schließlich geraten die Mütter, die für sich und ihre Kinder allein Sorge tragen, ganz aus dem Häuschen, in das sie zu Beginn des bürgerlichen Zeitalters eingesperrt wurden: Nun müssen sie – genau wie die Männer – ihre „weiblichen“ Eigenschaften ablegen, wollen sie sich „draußen“ in der „bösen“ Welt behaupten. Also verschwindet in modernsten Zeiten die zu Beginn der Moderne erfundene Mütterlichkeit-Weiblichkeit wieder, während sie als Anspruch und als Utopie hartnäckiger denn je beschworen wird.

 

Derlei Utopien vom Mütterlich-Weiblichen als dem Erlösenden waren von Beginn der bürgerlichen Gesellschaft an unentbehrlich. Zeitweise schien es sogar gelungen zu sein, dieses „Ewigweibliche“ im Haus einzusperren, während draußen der in die Zukunft stürmende männlich-“faustische“ Geist tobte, um das Projekt der Moderne voranzutreiben. Dieses Projekt, von dem die philosophischen Schwätzer so schön parlieren konnten, hatte zu seiner Ergänzung das Projekt des „Ewigweiblichen“ nötig, und zwar im Sinne ideologischer Absicherung dessen, was als „faustische“ Weltbeherrschung in Szene gesetzt wurde.

 

Satzungsgemäß war die Moderne stetem Wandel verpflichtet; also hatte, ebenfalls satzungsgemäß, das nostalgisch-utopisch verklärte „Ewigweibliche“ von Anfang an eine kompensatorische Funktion zu erfüllen: Es symbolisierte das Konstante, das Ewigbleibende. So stand es dem Wechsel der Zeiten wie ein Fels in der Brandung entgegen und bewahrte scheinbar, was in der real existierende Welt gerade abgeschafft, zerstört und vernichtet wurde – Heimat, zum Beispiel. Nicht erst die SchwärmerInnen unserer Tage, schon die Poeten früherer Tage wußten das Erlösungspotential des „Ewigweiblichen“ daher sehr zu schätzen. Schiller, zum Beispiel. Er dichtete über die „Würde der Frauen“ 1795 schon so erhebend, als habe ihm bereits damals das neueste Elaborat einer einschlägigen „Bewegungsdame“ vorgelegen (so Franziska Gräfin zu Reventlow – 1991, 251 – spöttisch über die Frau von gestern vom Schlage der Übermutter Karin Struck):

 

Feindlich ist des Mannes Streben,

Mit zermalmender Gewalt

Geht der wilde durch das Leben,

Ohne Rast und Aufenthalt.

Was er schuf, zerstört er wieder (...).

Aber mit zauberisch fesselndem Blicke

Winken die Frauen den Flüchtling zurücke, (...).

In der Mutter bescheidener Hütte

Sind sie geblieben mit schamhafter Sitte,

Treue Töchter der frommen Natur.

 

Ein großer Teil der heutigen Psycho-, Emanzipations- und Frauen-Literatur enthält ähnlichen Unfug, der beim vermeintlich aufgeklärten Publikum als Trost und Droge jedoch mehr denn je gefragt ist.

 

Das sehnsuchtsvolle Wünschen eines sehnsuchtvollen Spätheimkehrers, also das Schicksal des Peer Gynt, der am Ende der gleichnamigen Tragödie, die das bürgerliche Zeitalter symbolisiert, in „der Mutter bescheidene Hütte“ zurückgewunken wird, beschreibt Henrik Ibsen mit folgenden Worten:

 

Meine Mutter; meine Gattin; Weib, rein im Minnen!-

O birg mich, birg mich da drinnen!

 

Das sollte gelesen und verstanden werden als die hochliterarisierte Fortsetzung eines bekannten Kinderreims, der da lautet:

 

Hänschen klein, ging allein

In die weite Welt hinein.

Stock und Hut steh’n im gut,

ist gar wohlgemut.

Aber Mama weint so sehr,

Hat ja nun kein Hänschen mehr!

Wünsch dir Glück, sagt ihr Blick

kehr nur bald zurück.

 

Sieben Jahr

Trüb und klar

Hänschen in der Fremde war

Da besinnt

Sich das Kind

Eilt nach Haus geschwind

Doch nun ist’s kein Hänschen mehr

Nein, ein großer Hans ist er

Braun gebrannt

Stirn und Hand

Wird er wohl erkannt?

 

Eins, zwei, drei

Geh’n vorbei

Wissen nicht, wer das wohl sei

Schwester spricht:

„Welch Gesicht?“

Kennt den Bruder nicht

Kommt daher sein Mütterlein

Schaut ihm kaum ins Aug hinein

Ruft sie schon:

„Hans, mein Sohn!

Grüß dich Gott, mein Sohn!“

 

Doch nicht nur die Mutter, sondern auch Klein-Hänschen – ob nun Peer Gynt oder Faust genannt – „weinet sehr“. Und deshalb kommt es eines Tages zur Umkehr. Jetzt „besinnt sich das Kind, eilt nach Haus geschwind“, denn die Beine, auf denen es stehen sollte, sind zu schwach, um das Kind zu tragen. Es wirft die Last der Selbstständigkeit ab und sucht wieder Zuflucht bei der Über-Mutter. Jetzt tritt Reue ein: der rastlose Fortschritt wird als Tretmühle erkannt, die zu keinem Ziel – und schon gar nicht zum versprochenen Glück – führen wird. Also landet der im endlosen Kreis wundgelaufene Wanderer endlich erschöpft in den Armen der Mutter-Gattin. Im Falle Peer Gynts heißt dieses holde Wesen Solvejg. Zeitlebens hat sie auf ihren „Helden“ und auf diesen Augenblick gewartet. Wie die Mutter Gottes umschlingt sie mit ihren Armen den Rückkehr, den vom Kreuz des Lebens abgenommenen Sohn, und tröstet ihn mit den Worten:

 

Schlaf, mein teuerster Junge, schlaf!

Ich will dich wiegen, ich will wachen. –

Der Junge saß auf seiner Mutter Schoß.

Zeitlebens war sie sein Spielgenoß.

 

Und der Vater? Bereits am Ende des Ersten Weltkriegs, verstärkt nach dem Zweiten Weltkrieg, taucht das – inzwischen geflügelte – Wort von der „vaterlosen Gesellschaft“ auf (Federn 1919, Mitscherlich 1963). Am Ende der 1970er Jahre lautet das Fazit: „War früher der pater familias die zentrale Integrationsfigur der Familie, so ist heute sein Bild so blaß und verwischt, daß eher seine Schwäche (und deren Pendant: die kompensatorisch vorgetäuschte Stärke) zum Problem geworden“ sind (Schülein 1977, 103). Der definitive Nachruf auf den Patriarchen und auf dessen blasses Abbild, den (klein-)bürgerlichen Vater, erscheint Ende der 1980er Jahre irgendwo und irgendwie„zwischen Liquidation und Vervielfältigung“ (Lenzen 1991, 252). Hier verlieren sich die Spuren des Vaters endgültig.

 

Doch als Zombie kehrt er wieder zurück. In dieser Erscheinungsform dient er mehr denn je als Kinder- und Mütterschreck. Im Rückgriff auf die altvertraute Ideologie von der seligen Mutter-Kind-Einheit und im Verbund mit den Phrasen von der eines Tages doch noch möglichen Verbesserung der Menschheit (diesmal mit Hilfe einer fortschreitenden Verweiblichung) gerät die aufgeklärte Feministin ins Schwärmen. Also spricht sie von „der spezifischen Qualität“ der „mütterlichen Beziehungen“, die eben „gerade nicht beliebig austauschbar“ seien (Erler 1986, 65). Mag die Welt sich drehen und wenden, wie sie will, und mögen angesichts des rasenden gesellschaftlichen „Wandels“ auch alle schwindelig werden – die Mütter bleiben standfest und unaustauschbar! Um das Paradies zu verwirklichen, bedarf es dann nur noch eines vergleichsweise kleinen Schrittes: die geschiedenen Männer, die als Väter Zugang zu ihren Kindern fordern, müssen in ihre Grenzen verwiesen werden. Denn die „Trennung einer Mutter von ihren Kindern, auf die sie jahrelang fast ihre gesamte psychische Identität und Energie gerichtet hat“, wäre „psychischer Mord“ (Erler 1986, 61). Also werden die Kosten der gesellschaftlichen Modernisierung, unter der alle Menschen leiden, unter Berufung auf ein scheinbares Naturrecht vom Konto der Kinder abgebucht. Am Ende werden sich die Kinder schuldig wie Mörder fühlen müssen, wenn sie sich von solchen Müttern trennen wollen.

 

Die Scheidung der Eltern – und damit oft verbunden die Scheidung der Kinder von einem Elternteil – gehört inzwischen zum Schicksal einer durchschnittlichen Kindheit (in Deutschland waren zwischen 1985 und 2015 jährlich 100.000 und 170.000 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen). Der Elternteil, der nach der Scheidung mit dem/den Kind/ern zurückbleibt (in der Regel ist das noch immer die Mutter), wird umso zäher an der Beziehung zum Kind festhalten, je mehr diese für den erlittenen Beziehungsverlust entschädigen soll. Unter Umständen erleben Kinder im Verlauf ihres Heranwachsens sogar wiederholte Trennungen von „Vater“ genannten Männern, zu denen ihre Mütter zeitweilige Beziehungen hatten. Schillers Auffassung vom Mütterlich-Weiblichen als dem Konstant-Bleibenden und vom Väterlich-Männlichen als dem Flüchtigen wird damit auf paradoxe Weise bestätigt. Unter Verweis auf die Dynamik brüchiger Beziehungen zwischen den Eltern spricht Chodorow von „serieller Monogamie“ (1991, 199). Damit ist ein Familienmodell gemeint, das in den Industriestaaten verbreitet auftritt: Weder der Mann noch die Frau haben noch einen Lebenspartner; beide haben jetzt Lebensabschnittspartner. Und die verhalten sich wie Staffelläufer: sobald der neue kommt, ist der alte aus dem Rennen. Dabei ist die hierfür notwendige Fähigkeit (oder Bereitschaft), eine soziale Bindung von Fall zu Fall zu lösen, psychisch schwer zu erbringen, doch im Hinblick auf die Erfordernisse der modernen Arbeitswelt ist sie keineswegs unerwünscht.

 

War der Patriarch von ehedem zumindest dies: ein unaustauschbares und unverwechselbares Individuum, so teilt sein Nachfolger, der moderne Vater, das Schicksal aller scheinautonomen Subjekte der Gegenwart: Während diese sich einbilden, einzigartig und unaustauschbar zu sein, sind sie bestenfalls Schnittpunkte gesellschaftlicher Prozesse, die vom allgemeinen Tauschprinzip in Gang gehalten werden. Dieses Prinzip kann allerdings nur solange herrschen, solange jeder einzelne bereit ist, „sich selbst affektiv ‚unabhängig’ (...) von den konkreten Beziehungen (zu machen), in denen er lebt, d. h. indem er diese Beziehungen im subjektiven Erleben austauschbar macht, einen Arbeitskollegen gegen den anderen, einen Sexualpartner gegen den anderen usw.“ (Simon 1984, 120). In einer Welt, in der alles zur Ware wird, muss jeder zum Händler werden. Das ist die Welt, in der für Geld alles zu haben ist. All you need is loveBut money can’t buy me love. Das ist die wirkliche Welt, in der das Geld alles ist und alles zu kaufen ist, weshalb sich alles ins Gegenteil verkehren lässt:

 

Geld „verwandelt die Treue in Untreue, die Liebe in Haß, den Haß in Liebe, die Tugend in Laster, den Knecht in den Herrn, den Herrn in den Knecht, den Blödsinn in Verstand, den Verstand in Blödsinn. Da das Geld als der existierende und sich betätigende Begriff des Wertes alle Dinge verwechselt, vertauscht, so ist es die allgemeine Verwechslung und Vertauschung aller Dinge, also die verkehrte Welt, die Verwechslung und Vertauschung aller natürlichen und menschlichen Qualitäten (…). Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen (…)“ (Marx 1844/1968, 566f.).

 

Liebe gegen Liebe, Vertrauen gegen Vertrauen: das klingt wie ein Kindermärchen, wie ein Wunsch aus grauer Vorzeit, wie ein Lied aus uralten Tagen. Paradoxerweise existiert nun die durch die prinzipielle Austauschbarkeit individueller Bindungen beflügelte Vernichtung von Individualität ungestört neben der allseits geförderten Propaganda, wonach wir im Zeitalter der Individualisierung lebten. Soweit damit gemeint ist, jeder einzelne habe eine vergleichsweise große Freiheit (verbunden mit dem ebenso großen Zwang) „eigene“ Entscheidungen zu treffen, wird der gegenläufige Prozeß übersehen: die Vermassung. Gerade weil kaum jemand noch „eigene“ Entscheidungen treffen kann, tut jeder, was „alle“ oder wenigstens diejenigen tun, denen sich der einzelne ideell zurechnet. Ein eigener Kopf und eine abweichende Meinung sind im Zeitalter der Individualisierung Phänomene, die seltener denn je auftreten – es sei denn, sie treten als Pathologie in Erscheinung.

 

Genauer betrachtet leben wir im Banne individualistischer Ideologien, derweil wir dem gesellschaftlichen Zwang unterworfen sind unsere Beziehungen so variabel wie nötig zu gestalten. Denn „eine Gesellschaft, eine Ökonomie, in der es anders wäre, würde bei jeder Erkrankung, jedem Todesfall vorübergehend in ihrer Funktionsfähigkeit im Hinblick auf die Gewinnmaximierung aus dem Gleichgewicht geraten –sie müßte ‚Trauerarbeit’ leisten, die schlecht ‚bezahlt’ ist“ (Simon 1984, 120). Trauerarbeit als zeitaufwendiges und affektintensives Ritual ist ein Luxus, den sich vormoderne, wenig dynamische, auf Bestand ausgerichtete Gesellschaften noch leisten konnten. In diesen auf Erhalt traditioneller Strukturen angewiesenen und ausgerichteten Gesellschaften war der Tod jedes einzelnen ein Ereignis, das – wie die Geburt – die gesamte Gemeinschaft betraf. In modernen Zeiten, in denen das Individuum angeblich alles bedeutet, gilt der Tod eines einzelnen kaum noch etwas. Der Tod ist zum „privaten“ Ereignis geworden, das sich „im engsten Familienkreis“ am Rand der Gesellschaft abspielt. Kaum ist der Verstorbene außer Haus, wird der Haushalt aufgelöst und die Wohnung wird anderweitig besetzt. Sobald ein neues Klingelschild an der Haustür prangt, sind die Spuren des Einzigartigen vollständig beseitigt.

 

Gerade weil das Individuum für das Kollektiv, in dem es lebt, nichts mehr bedeutet, blüht in den modernen Gesellschaften der Narzißmus. Im Zeitalter der Individualisierung will verständlicherweise jeder sein, was er angeblich von Geburt an ist: einzigartig und unaustauschbar. Und wenn nur noch monströses Verhalten und exzentrisches Gehabe geeignet sein sollten, diesen Anspruch zu bestätigen, so wird man oder frau auch entsprechend handeln. Wie käme der kleine Duckmäuser aus der Einfamilienhauskolonie je zu seinem Recht, gelänge es ihm nicht als Fußballrowdy oder Islamhasser auf sich aufmerksam zu machen? Und der Akademiker, der in den Fußnoten der Arbeiten seiner Kollegen den Nachweis seiner intellektuellen Existenz sucht, ist beglückt, wenn er ihn dort findet, es sei denn, er wird rechtzeitig zu einem Peter Sloterdijk oder Slavoj Žižek und tingelt durch Talkshows, anstatt geschützt hinter Elfenbeintürmen zu arbeiten.

 

Das Schwinden der Kollektive – und der kollektiv abgesicherten Individualität – führt zu skurrilen Versuchen, die eigene Identität unter Beweis zu stellen. Die Nation als künstlich geformtes Kollektiv und der Nationalismus als die zugehörige Ideologie können in diesem Lichte verstanden werden als Re-Aktionen auf Aktionen, als Rück-Schritte im Gefolge von Fort-Schritten. Solche re-aktionären Versuche Vergangenheit, Einheit, Identität, Unvertauschbarkeit herzustellen, bewirken in der Regel das genaue Gegenteil: der einzelne geht jetzt endgültig in der Masse unter. So wurde in Deutschland nach 1933 hinter den Kulissen germanophilen Kitsches in kürzester Zeit ein Modernisierungsprogramm realisiert, durch das alles zerstört wurde, was als erhaltenswert propagiert worden war – die „deutsche“ Familie voran. Zwar pflegten die Nationalsozialisten das traditionelle Familienmodell, doch sie unternahmen auch alles, um es zu zerstören. Sie führten einen totalen Krieg gegen die Familie, indem sie den Frauen die Männer, den Kindern die Väter wegnahmen – und sorgten so für ein Heer unvollständiger Familien. Die Epoche des Nationalsozialismus belehrt, wie gefährlich es ist, die Götter, die gestorben sind, zu neuem Leben erwecken zu wollen. Solche Götter können nur als Dämonen auferstehen, wenn das Verlorene nicht betrauert worden ist.

 

Da die Sterblichkeit der Götter längst bewiesen ist, so wäre Trauer um diesen und andere Verluste, die die Moderne mit sich gebracht hat, notwendig. Doch Trauer ist im Programm der Moderne nicht vorgesehen. Die Ideologen des Fortschritts behaupten, es gebe keinen Anlaß zur Trauer, schließlich bringe der Fortschritt Glück, das spätestens dann für jedermann und alle Frauen zu haben sei, wenn der Fortschritt demokratisch, sozial und human gestaltet werde. Mit solchen Argumenten haben die Ideologen des Fortschritts seit jeher ein heimlich-unheimliches Bündnis mit den Reaktionären geschlossen. Indem sie die Trauer als unnötig ausgaben und den Fortschritt per se als Notwendigkeit behaupteten und bejubelten, überließen sie die Opfer des Fortschritts, die an die Utopie des Fortschritts nicht glauben konnten und auf den jüngsten Tag nicht warten wollten, ihrem Schicksal: den Verheißungen der Reaktionäre. Die sind zur Trauerarbeit ebenso unfähig wie ihre fortschrittsgläubigen Kontrahenten, doch zu einem Stück des pathologischen Trauerns sind sie allzeit bereit: zur Wut. Die Moderne könnte an dieser allgemeinen Unfähigkeit zur Trauer zugrunde gehen.

 

Daß reaktionäre und utopische Versprechungen – scheinbar fortschrittliche und tatsächlich rückschrittliche Gedanken – verknüpft sein können, das zeigen die Texte mancher Autorinnen, die glauben, sie hätten damit einen Beitrag zur Emanzipation der Frau geleistet. Christine Wittrock hat derlei Schriftgut genauer untersucht und dabei festgestellt, daß „einige Fraktionen der zeitgenössischen Frauenbewegung“ von „Sehnsüchten“ zehren, die gestern braun eingefärbt waren:

 

„Die feministischen Überlegungen zu den ‚naturbedingten’ Unterschieden im Verhalten und Denken der Geschlechter sind längst wieder diskutabel geworden, und selbst Spiritualismus und Magie als der ‚Frauensphäre’ besonders zugehörig, scheinen wieder salonfähig. Auch der Pazifismus läßt sich, wie gehabt, mit angeblich von Natur aus bestehender weiblicher Gewaltlosigkeit (auch ein Kernstück patriarchaler Theorie) aufs beste verknüpfen (...). Zivilisationskritik, Innerlichkeit und die Koketterie mit dem Irrationalen sind keine Schöpfungen unserer Tage. Und auch die neue Weiblichkeit, die in Wirklichkeit eine ganz alte ist, hat ihre Geschichte“ (Wittrock 1983, 2).

 

Zu dieser Geschichte gehört die Fiktion, die realen Frauen hätten – wie von Schiller imaginiert – abseits des historisch-gesellschaftlichen Prozesses an einem sicheren Ort, in der Hütte, die besseren Kräfte gehütet, mit deren Hilfe die Menschheit dereinst von allem Übel erlöst werden könnte. Aus dieser Perspektive läßt sich die Anklage des „schuldigen Mannes/Vaters“ formulieren und das paranoid gefärbte Bild „eines Mannes/Vaters“ beschwören, „der nicht nur 2 Weltkriege und den Judenholocaust initiierte, sondern der auch der Produzent von Giften ist, die bis ‚ins Innere der Ungeborenen in die Schöße der Frauen dringen (...) und die Muttermilch buchstäblich giftig machen“ (Rohde-Dachser 1991, 201). Das hört sich so an, als habe diese Staatsanwältin von der Göttin persönlich den Auftrag erhalten, die Anklageschrift für das Jüngste Gericht vorzubereiten.

 

Das Bild der mit allen „natürlichen“ Eigenschaften sich selbst und vielleicht sogar auch noch den Mann erlösenden Frau entstand während jener Zeit, in der die bürgerlichen Frauen von der Teilnahme an der außerhäuslichen Erwerbsarbeit ausgeschlossen (oder freigestellt) waren. Der Mann, der nach draußen ging, um den Unterhalt der Familie zu verdienen, erwartete bei seiner abendlichen Rückkehr ins traute Heim eine alltägliche Erlösung und Wiedergutmachung. Die weiblich-mütterliche Pflege sollte für den Einsatz „draußen“ in der „bösen“ Welt entschädigen, ein Anspruch, der den Vater-Mann unter Umständen zum Konkurrenten seiner Kinder werden ließ. Die Gleichstellung der Frau im Arbeitsprozeß nach Maßgabe modernster Zeiten läßt allerdings realistischerweise keine Zunahme der ehedem „weiblich“ genannten und im trauten Heim kultivierten Eigenschaften erwarten. Viel eher ist mit einer Abschaffung traditionell als „weiblich“ bezeichneter Tugenden zu rechnen. Allen gegenteiligen Beschwörungsformeln zum Trotz wird sich unabhängig vom biologischen Geschlecht jenes Kalkül bewähren, das als männlich-“faustisches“ Prinzip die Welt beherrscht. Daneben werden die Sehnsüchte nach dem „Ewigweiblichen“ wuchern, wenngleich solche Sehnsüchte – wie sonstige Süchte – auch nur durch Rausch- und Betäubungsmittel, also nur durch Denken vernebelnde Drogen zu befriedigen sein werden. Der einschlägige (Buch-)Markt hält dafür genügend „Stoff“ bereit.

 

Mary Wollstonecraft, eine Vordenkerin des modernen Feminismus, die zur Zeit der Französischen Revolution lebte, wußte, daß alle so genannten „weiblichen“ Tugenden (und Untugenden) Produkt der Erziehung sind, die in der real existierenden Gesellschaft stattfindet. Zu ihrer Zeit war „die“ Frau – und damit das durchaus beschreibliche Unbeschreiblich-„Weibliche“ – ein Gegenstand des Luxus – und damit Objekt der männlichen (wie der weiblichen) Begierde. Mary Wollstonecraft meinte, erst wenn Männer und Frauen in die Welt der öffentlich zu vergebenden Arbeit integriert seien, könnten beide Geschlechter ihren Anspruch auf wahre Sittlichkeit behaupten. Da sie die Maximen der (ursprünglich feudalen, später bürgerlichen) Erziehung als eine der Ursachen des scheinbar natürlichen weiblichen Charakters erkannt hatte, kritisierte sie die Ideologen, die diesen Leitlinien der Erziehung das Wort redeten. Ihre Kritik richtete sich unter anderem gegen das Weiblichkeitsideal Rousseaus. Sie wollte alles beseitigt wissen, was den schein-natürlichen „weiblichen“ Charakter hervorgebracht hatte. Und so trat sie gegen die Begierden und Leidenschaften an, die die Beziehungen der Geschlechter beherrschen und „den Kelch des Lebens eher verbittern als versüßen“ (1790, 70). Das Goldene Zeitalter einer ewigen Freundschaft zwischen den Geschlechtern könne erst beginnen, wenn beide Geschlechter zum Verzicht auf derartige Begierden bereit seien.

 

An erster Stelle sollte die Selbstdisziplin stehen, das heißt, die Disziplinierung der Leidenschaften; dann werde sich die Disziplin in der Beziehung zwischen den Geschlechtern schon einstellen – meinte Mary Wollstonecraft, die im Zeitalter des Glaubens an die Vernunft lebte. Und so wollte sie der Brüderlichkeit die Schwesterlichkeit zur Seite stellen. Am Ende sollte der geschlechtliche Unterschied zwischen Brüdern und Schwestern nicht mehr das für die Beziehung zwischen Mann und Frau bestimmende Element sein. Alle Menschen werden Menschen sein – und alle Menschen werden in einer Welt leben, in der sie dann auch gleichviel wert sein werden.

 

„Mary Wollstonecraft warf den Fehdehandschuh hin“ und leugnete „das Vorhandensein spezieller geschlechtlicher Tugenden, einschließlich der Sittsamkeit“ (1790, 97). Sie empfahl den Frauen, sie sollten „von Tag zu Tag männlicher“ werden (1790, 39). Das heißt, die Frauen sollten sich nun auch jenem vernünftig-sittlichen Prinzip unterwerfen, das Männern seit jeher beherzigen – jedenfalls die besten Männer, die Mary Wollstonecraft als die wahren Freunde des weiblichen Geschlechts erkannte.

 

Der arme Otto Weininger! Als er 100 Jahre später Mary Wollstonecrafts Grundsätze und Empfehlung ernst nahm und deshalb für nahezu identische Ziele eintrat, auch wenn er dabei die Leidenschaften und Begierden noch etwas konsequenter aus dem zwischen den Geschlechtern üblichen Verkehr auszuschließen empfahl als seine Vorgängerin, um auf diese Weise die Freundschaft zwischen den Geschlechtern fester denn je zuvor zu knüpften, da erhielt er Prügel von Feministinnen, die in Weiningers Text das Plagiat nicht erkennen konnten.

 

Solange Frauen bereit waren, im Prozeß der Modernisierung, beginnend mit der Aufklärungszeit, den ihnen zugewiesenen Part zu übernehmen und die im Ghetto der Kindheit eingeschlossenen Kinder exklusiv an sich zu binden, um sie unter dieser Voraussetzung „auf das Leben“ vorzubereiten, mußten sie die dafür vorgesehene Form der Mütterlichkeit entwickeln (oder wenigstens so tun, als ob sie darüber verfügten). Diese Mütterlichkeit war der Bezugspunkt für alle anderen „weiblich“ genannten Tugenden. Und selbst die Untugenden, die der „öffentlichen“ Frau als dem Gegenstück der heimlichen Frau, der Haus-Frau, zustanden, waren bloße Negationen des mütterlichen Prinzips. In der Diktion Weiningers gesprochen, heißt das: im Bild der Hure ist das Bild der Mutter immer mit enthalten, wenngleich es hier mit einem negativem Vorzeichen versehen wird.

 

Die Frau als Mutter hatte auf all das zu verzichten, was von der Frau als Hure verlangt wurde. Im Idealfall dauert die Bindung an die Mutter ewig, während sich die Hure wahllos und nur für kurze Augenblicke an jedermann verschwendet. Die Trennung, die der Mutter verboten ist (und die sie ihren Kindern verbietet), ist der Hure nicht nur erlaubt – ja, sie wird zur Geschäftsgrundlage der Hure. Zwischen der Mutter und der Hure besteht eine geheime Verabredung, Nähe und Distanz, Bindung und Trennung betreffend. Die Existenzform der Hure rechtfertigt die der Mutter; und die Existenzform der Mutter erzwingt die der Hure.

 

Mary Wollstonecraft und Otto Weininger erkannten und kritisierten die eigentümliche Form der Bindung, die zwischen der einzigartigen Mutter und ihren einzigartig narzißtischen Kindern zustande kommt. Sie beklagten die – von Campe bemerkte und gepriesene – „Allgewalt“ der Mütter, deren Erziehungswut sich auf die Kinder richtet, womit sie ihre emotionalen Defizite auszugleichen versuchen. So wurde das schwache Geschlecht – die in ihren Menschenrechten gesellschaftlich benachteiligte Frau – zur allmächtigen Mutter. Mütter, die nicht emanzipiert seien, brächten ihre Kinder „im wahrsten Sinne des Wortes“ um, meinte Mary Wollstonecraft. Das geschehe sowohl „durch unnatürliche Vernachlässigung“ wie „durch blinde Zärtlichkeit“ (1790, 297). „Kurz gesagt, die Mehrheit der Mütter überläßt ihre Kinder vollkommen der Obhut der Diener oder behandelt sie wie Halbgötter, weil es ihre Kinder sind“ (1790, 299). Dieses unausgewogene Verhältnis von Distanz und Nähe im Zeitalter der Verbürgerlichung führt schließlich zur Entgleisung des Dialogs zwischen der Mutter und dem Kind. Das ist die Konsequenz der Situation, in die die Mütter geraten sind, eine Machtkonfiguration, in der die Männer als Väter zu Tyrannen werden – und aus der sie doch ausgeschlossen bleiben. Mary Wollstonecraft hat diese Dialektik der Aufklärung so beschrieben:

 

„Viele von ihnen (den Müttern – B.N.) werden daher veranlaßt, ihr Leben ihren Kindern zu widmen. Dabei schwächen sie nur deren Körper, verderben ihre Charaktere und vereiteln jeden Erziehungsplan, den vielleicht ein vernünftiger Vater aufgestellt hat. Denn solange eine Mutter nicht mitwirkt, wird der strenge Vater immer als Tyrann betrachtet werden“ (1790, 299).

 

Seit jener Zeit haben sich die Lebenswelten in den Industriestaaten von Generation zu Generation – und selbst innerhalb nur einer Generation – immer rascher geändert. Doch das Grundmuster, das Mary Wollstonecraft beschrieben hat – eben jenes Dreiecksverhältnis, bei dem zwei frustrierte Erwachsene um die Liebe eines Kindes kämpfen – scheint gefestigter zu sein denn je. Und so blühen die alten Sehnsüchte immer weiter, wonach die Tauschgesellschaft in der abgeschlossenen mütterlichen Welt nicht stattfinden darf. In dieser intimen Welt soll erhalten bleiben, was in der Welt dort draußen unerbittlich preisgegeben wird. All das Verlorene und Verschwundene wird im reaktionär-utopischen Entwurf des „Ewigweiblichen“ zusammengefasst und als tröstende Verheißung verkündet. Und oft genug halten auch solche Frauen, die im Berufsleben ihren Mann stehen und es deshalb besser wissen könnten, am traditionellen Bild der Weiblichkeit fest – bisweilen sogar hartnäckiger als Frauen, die im Haus gefangen sind und wähnen, die große Freiheit ende knapp vor ihrer Haustür.

 

Der Schwund des „Ewigweiblichen“ sei längst eingetreten – behauptete nun aber ausgerechnet die beste „freundin“ aller weiblichen Frauen, die gleichnamige Illustrierte, die auf dem Titelblatt vom 11. März 1992 verkündete: „Frauen ‘92 – Die neue Angst, Gefühl zu zeigen.“ Diese Schlagzeile kam aufgrund des Vergleichs der Angaben von in den Jahren 1982 und 1992 befragten Frauen zustande. Im Inneren führte das Blatt zum Stand dieser Misere weiter aus:

 

* Frauen 1992 trauen eigenen Gefühlen weniger als Frauen 1982, das heißt, sie legitimieren ihre Handlungen stärker mit dem „Kopf“ als mit dem Hinweis auf „Intuition“. Entsprechend seltener geben sie an, „spontan“ zu reagieren.

 

* Frauen 1992 lehnen (im Vergleich zu Frauen 1982) vermehrt das tradierte Klischee ab, wonach sie häufiger und stärker als Männer gefühlsmäßig reagierten. Dieses Klischee beschreibt seit Jahrhunderten eine der wichtigsten, scheinbar natürlich weiblichen Eigenschaften, wobei die vermeintlich größere Emotionalität der Frauen traditionell teils positiv, teils negativ beurteilt worden ist, und zwar jeweils in Abhängigkeit davon, welche Gefühlsäußerungen in welcher Situation beurteilt wurden.

 

* Die Bereitschaft von Frauen, über Gefühle mit dem Lebenspartner oder mit anderen Menschen zu sprechen, hat innerhalb nur eines Jahrzehnts deutlich abgenommen. Das Mißtrauen in den Nutzen gefühlsmäßiger Offenheit hat zugenommen. Die nach traditionellem Klischee den Männern zugesprochene gefühlsmäßige Verschlossenheit charakterisiert demnach inzwischen auch immer mehr Frauen.

 

* Der Ausdruck von Mitgefühl gilt den 1992 befragten Frauen als weniger opportun als jenen, die ein Jahrzehnt zuvor befragt wurden. Das bedeutet, Mitleid als scheinbar natürliche weibliche Eigenschaft wird von der modernen, im Arbeits- und Erwerbsleben ihren Mann stehenden Frau vermehrt als hinderlich erkannt und dementsprechend zurückgehalten.

 

In der Zeitschrift „freundin“ werden diese Befunde mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen und so kommentiert:

 

Hart haben Frauen darum gekämpft, daß Männer offener werden, mehr Einfühlungsvermögen zeigen und lernen, sich fallen zu lassen. Mit welchem Erfolg? Was sie den Männern jahrzehntelang vorgelebt haben, ist für viele (Frauen – B.N.) heute selbst ein Problem geworden. Und weiter: Immer mehr Frauen führen ihre Beziehung mit dem Kopf statt mit dem Herz.

 

Also mußte ein Experte befragt werden, der erklären sollte, wo die Wurzeln dieses Übels zu finden wären. Seine Antwort fällt nicht unerwartet aus: Immer mehr Frauen verhalten sich betont maskulin, um sich in einem harten Job zu profilieren.

 

Nach traditioneller Auffassung hat sich ein „richtiger“ Mann durch Kraft, Kampf, Macht und den Willen zur Konkurrenz auszuzeichnen. Die Bereitschaft „zu hoher Leistung im sozialen Kampf um knappe Ressourcen“ (Gilmore 1991, 145) war traditionell die Grundlage der „wahren“ Männlichkeit. Inzwischen hat die tendenzielle Überwindung der traditionellen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern aber zu einer Angleichung der Geschlechterrollen geführt. Die Pilotin im Kampfbomber und der Mann am Wickeltisch sind nicht nur denkbar, sie sind im Einzelfall auch möglich geworden. Das hat aber nicht zu einer Verbreitung der traditionell als „weiblich“ ausgewiesenen Tugenden geführt, vielmehr scheint die Durchsetzung des „männlichen“ Prinzips die Zukunft zu bestimmen.

 

Erinnern wir uns an dieser Stelle noch einmal an eine längst vergangene poetische Welt. Erinnern wir uns an Penelope und Odysseus. Welche Tugenden mussten sie unter Beweis stellen, wenn sie als Paar überleben wollten? Odysseus bewies Tapferkeit, Ausdauer, List und Treue zur Heimat, also Treue zu sich selbst. Das waren nun aber dieselben Tugenden, die Penelope besaß. Sie zeigte Tapferkeit und Ausdauer im Kampf mit den Freiern und List, indem sie das Totentuch, das sie tagsüber webte, nachts wieder aufknüpfte. Nachts, im Traum, hielt sie die Zeit an und die Erinnerung an Odysseus wach. So blieb sie sich treu. Stimmt all das, was wir über den Unterschied der Geschlechter in traditionellen Gesellschaften gesagt haben, also gar nicht? Gab es im klassischen Heldenzeitalter womöglich gar mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Geschlechtern?

 

Penelope und Odysseus hatten ein gemeinsames Ziel: Sie mußten unter der Bedingung der Trennung versuchen die Integrität ihrer Persönlichkeiten aufrechtzuerhalten. Also sicherten sie ihre Identität, indem sie sich aneinander erinnerten. So blieben sie ein Paar. Also blieben sie jenseits allen geschlechtlichen Begehrens Freunde. Ein Freund zu sein, das bedeutet „tapfer zu sein (...), jemand zu sein, auf den man sich verlassen kann. Daher ist die Tapferkeit ein wichtiger Bestandteil der Freundschaft (...). Der andere Bestandteil der Freundschaft ist die Treue (...)“ (MacIntyre 1987, 166). Treue zu sich selbst ist im Projekt der Moderne, das unerbittlich auf Fortschritt beharrt, ebenso wenig vorgesehen wie Zeit zur Trauer. Das Paar, das diesem Fortschritt nicht weichen will, erinnert Faust an das Glück, das er nicht erreichen kann, denn es liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit: in der Erinnerung. Faust vernichtet die Hütte des Paares Philemon und Baucis, an deren Stelle er einen Palast erbauen will:

 

 

Die Alten droben sollten weichen,

Die Linden wünscht’ ich mir zum Sitz,

Die wenig Bäume, nicht mein eigen,

Verderben mir den Weltbesitz.

Dort wollt’ ich, weit umherzuschauen,

Von Ast zu Ast Gerüste bauen,

Dem Blick eröffnen weite Bahn,

Zu sehn, was alles ich getan,

Zu überschaun mit einem Blick

Des Menschengeistes Meisterstück,

Betätigend mit klugem Sinn

Der Völker breiten Wohngewinn.

So sind am härtsten wir gequält,

Im Reichtum fühlend, was uns fehlt.

(Goethe, Faust, II. Teil)

 

Literatur

 

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Der vorliegende Text ist eine überarbeitete Fassung des Beitrags: Nitzschke, B. (1994). Penelope und Odysseus blieben Freunde – oder: Was haben die Allmacht der Mütter und die Ohnmacht der Väter mit der Übermacht des „männlichen“ Prinzips in der modernen Gesellschaft zu tun? In: Zepf, S. (Hg.), Abgründige Wahrheiten im Alltäglichen. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht), 25-65. Dieser Text stimmt in einigen Passagen überein mit Nitzschke, B. (1993). Von weiblichen und männlichen Tugenden & von dem, was der Auffassung widerspricht, sie seien natürlich, gottgewollt oder guten Willens zu dekretieren. In: Stäblein, R. (Hg.), Moral. Baden-Baden (Elster), 88-124.