Till Bastian: Seelenleben. Eine Bedienungsanleitung für unsere Psyche. München (Kösel) 2010

 

Die Funktion, die die Kühlerfigur bei einem Automobil erfüllt, hat im Falle eines Buches das Motto, das dem Text vorangestellt ist. In beiden Fällen handelt es sich um Erkennungszeichen. Doch während man beim Anblick eines Mercedessterns sofort weiß, was man zu erwarten hat, erschließt sich der Sinn des Mottos, das Till Bastian seiner „Bedienungsanleitung für unsere Psyche“ vorangestellt hat, erst am Ende des Buches vollständig. Dort ist dann von jenem Glück die Rede, das dem Menschen einzig möglich ist –und zwar nicht im Himmel, sondern auf Erden: das Glück des stillen Augenblicks. Wer die Signale seiner Seele missachtet, ist zu diesem Glück nicht fähig. Denn er geht mit seinen Gefühlen und infolge dessen auch mit den Ressourcen seines Körpers rücksichtslos um und muss – wie der Stoiker Mark Aurel feststellte, dem das Motto des Buches zu verdanken ist – deshalb „zwangsläufig unglücklich“ werden.

 

Soweit dies mit Hilfe eines Buches überhaupt möglich ist, zeigt Bastian mit Rückgriff auf die Weltklugheit dieses und anderer Philosophen sowie durch Einbeziehung der Ergebnisse der Psychoanalyse und der modernen Säuglings- und Bindungsforschung, worauf es im Leben ankommt: auf die Achtung der eigenen und der fremden Grenzen achten als Voraussetzung eines gedeihlichen Miteinanders. Das setzt die „Gabe der Empathie, des Mit- und Einfühlens“ voraus. Die haben wir in unserer Kindheit erhalten – oder schmerzlich vermisst, weil sie unseren frühen Bezugspersonen (Mutter und Vater) fehlte. Wie jeder Mangel, so bedingt auch dieser Mangel Leiden – doch muss nicht aus jedem altem Leiden zwangsläufig neues Leiden entstehen. Gehört Leiden zum Leben? Dann müssen die Fähigkeiten kultiviert werden, das Leiden so zu bewältigen, dass daraus kein neues Leiden entstehen muss. Das ist der Kern jeder Kultur.

 

Oder muss Leiden um jeden Preis abgeschafft werden? Das ist ein hoher Preis, den Abermillionen Menschen mit ihrem Leben bezahlen mussten, weil es immer wieder einmal darum ging, im Namen des Guten das Böse auszurotten. Das ist der neurotische Wiederholungszwang, der auf dem Recht beharrt, anstatt nach den Bedingungen zu fragen, die Versöhnung möglich machen. Erich Kästner hatte also recht: „Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es.“ Und in diesem Sinne sei die Lektüre des hier besprochenen Buches empfohlen.

 

Bernd Nitzschke