Joseph D. Lichtenberg, Frank M. Lachmann, James L. Fosshage: Zehn Prinzipien psychoanalytischer Behandlungstechnik. Konzepte der Selbst- und Entwicklungspsychologie in der Praxis. Stuttgart (Pfeiffer bei Klett-Cotta) 2000

Die Autoren dieses Bandes gehören zu einer von vielen Richtungen der zeitgenössischen Psychoanalyse. Ausgangspunkt ist die von Heinz Kohut initiierte „Selbstpsychologie“, die in Kontrast zur Freudschen Triebtheorie konzipiert worden ist. Dabei ist an die Stelle des dualen Triebkonzepts Freuds (sexuelle/r Trieb/e und Aggressionstrieb/e) bei Lichtenberg ein systemtheoretisches Konzept getreten, das fünf Motivationssysteme unterscheidet, mit deren Hilfe die intrapsychische wie die interpersonale Regulation erklärt wird.

Diese Verschränkung innerseelischer und zwischenmenschlicher Regulationsprozesse lässt sich am Begriff „Selbstobjekt“, der von Kohut stammt, gut verdeutlichen. Mit diesem Begriff wird das subjektive Erleben der Beziehung zu einem anderen Menschen umschrieben, der, obgleich „Objekt“, als Teil des Selbst wahrgenommen wird. In dieser Funktion als „Selbstobjekt“ wird er gebraucht für die innerseelische Strukturierung und Differenzierung – und das nicht nur während der Kindheit, sondern lebenslang. Kohut ist jedenfalls dieser Auffassung, wonach jeder Mensch lebenslang Selbstobjektbeziehungen sucht, um die Kohärenz seines Selbst(erlebens) abzusichern.

Dieser Ansatz hat zu einer grundsätzlich objektbeziehungsorientierten Sicht innerhalb der psychoanalytischen Selbstpsychologie geführt, die den Einfluss menschlicher Beziehungen stark gewichtet, was auch in der selbstpsychologischen Behandlungspraxis zum Ausdruck kommt. So wird etwa die Verschränkung der Selbstobjektbedürfnisse des Analysanden mit denen des Analytikers in der therapeutischen Situation betont, wodurch interaktionelle oder intersubjektiv Aspekt der „Übertragung“, aber auch Phänomene, die nach der Freudschen Theorie als Abwehr und Widerstand gedeutet werden, eine andere theoretische Erklärung erhalten.

Das Reizvoll des hier vorgestellten Buches besteht nun aber vor allem darin, dass die – teilweise nicht ganz einfache - theoretische Begründung der selbstpsychologischen Behandlungspraxis an einem Fallbeispiel exemplarisch verdeutlicht wird. Nach einleitender Erläuterung der fünf motivationalen Systeme (im Sinne Lichtenbergs) werden einzelne Sitzungsprotokolle (aus einem Zeitraum von mehreren Jahren) wörtlich wiedergegeben: „Wir wollen die subjektiven Erfahrungen eines Analytikers und eines Analysanden („der“ in diesem Fall eine Frau ist – B.N.) darstellen, die miteinander dem speziellen dynamischen, intersubjektiven Kontext der therapeutischen Exploratin arbeiten.“ Anhand dieser Gesprächsprotokolle werden dann behandlungstechnische Fragen konkret und anschaulich diskutiert. Dabei wird nachvollziehbar, warum dem affektiven Austausch zwischen Patientin und Therapeut beim selbstpsychologischen Ansatz (der auch an die Säuglingsforschung, die Neurophysiologie und an moderne Affekttheorien angebunden ist) solch großes Gewicht zugesprochen wird. Mit Bedacht wurde dabei der Fall einer Patientin mit Missbrauchserfahrung ausgewählt, da an diesem Beispiel der selbstpsychologische Behandlungsmodus (Durcharbeiten der erotisierenden Übertragung; Schutz vor therapeutischer Retraumatisierung durch „Aufdeckung“ des „Unbewussten“) besonders eindrucksvoll demonstriert werden kann.

Im Abschlusskapitel – „Bedenkenswerte Fragen und unsere Antworten“ – resümieren die Autoren noch einmal ihren theoretischen Ansatz und begründen damit noch einmal die Gestaltung der therapeutischen Beziehung (und die daraus ableitbaren behandlungstechnischen Ratschläge). Das geschieht mit einfachen und gut verständlichen Worten. Alles in allem ein Buch, das als Einführung in die von Lichtenberg, Lachmann und Fosshage vertretene selbstpsychologische Theorie und Praxis der Psychoanalyse sehr zu empfehlen ist.

Bernd Nitzschke, Düsseldorf

Die Rezension ist erschienen in: Psychologische Revue - Rezensionszeitschrift für Psychologie und Sozialwissenschaften 2001, S. 33 f.