Ernst Federn: Ein Leben mit der Psychoanalyse. Von Wien über Buchenwald und die USA zurück nach Wien. Gießen (Psychosozial-Verlag) 1999

Ernst Federn, der Sohn Paul Federns, des Stellvertreters Freuds in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, wurde 1914 geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften. 1936 wurde Ernst Federn – er war damals noch Student - wegen illegaler politischer Betätigung (er gehörte einer trotzkistischen Gruppe an) verhaftet. Als die Nationalsozialisten 1938 in Wien einmarschierten, lagen Federns politische Akten also schon vor. Er wurde wieder verhaftet, nach Dachau und später ins KZ Buchenwald deportiert, das er als einer der wenigen jüdischen Häftlinge überlebte (vgl. Interview: Federn 1995). Nach der Befreiung durch die Amerikaner 1945 emigrierte Federn über Belgien in die USA, wo sein Vater Zuflucht gefunden hatte. Dort ließ er sich zum Sozialarbeiter und Familientherapeuten ausbilden. 1972 kehrte Federn nach Österreich zurück, wo er bis 1987 als psychologischer Berater in den Strafvollzugsanstalten Stein und Favoriten arbeitete. Heute lebt Federn in Wien - mit seiner Frau Hilde, „der ich mein Leben verdanke“, wie es in der Widmung des Buches heißt, dessen Titel - „Ein Leben mit der Psychoanalyse. Von Wien über Buchenwald und die USA zurück nach Wien“ – Erwartungen erweckt, die so nicht erfüllt werden. Denn es geht nicht um die erzählte Geschichte eines Lebens, vielmehr um eine Sammlung wissenschaftlicher Aufsätze.

Am deutlichsten zeichnen sich die lebensgeschichtlichen Spuren des Autors in „Teil Eins: Psychoanalyse in Buchenwald“ und in „Teil Drei: Über die Psychologie von Terror und Gewalt“ ab. Federn beschreibt hier kurz und anekdotisch „Gespräche“, die er in Buchenwald mit zwei Häftlingen aus dem Umfeld der Psychoanalyse geführt hat: mit Bruno Bettelheim, der von September 1938 bis zur Haftentlassung im April 1939 in Buchenwald, damals aber „noch kein Psychoanalytiker“ war; und mit Dr. Brief, Psychoanalytiker und Lehranalysand Wilhelm Reichs, der später von Buchenwald  nach Auschwitz überstellt wurde und dort umkam wie ein anderer Lehranalysand Wilhelm Reichs: Karl von Motesiczkys, (vgl. Rothländer 1988).

„Teil Drei“ des vorliegenden Bandes enthält u.a. Briefe, in denen Ernst Federn und Robert Wälder über die „Psychologie von Massenmördern“ debattieren. Interessant sind diese Briefe auch deshalb, weil hier Anfang der 1960er Jahre die Frage nach der Vergleichbarkeit nationalsozialistischer und „kommunistischer“ (sowjetischer) Verbrechen gestellt wird, die Historiker am Ende des 20. Jahrhunderts erneut beschäftigt hat. Entwertet wird die Präsentation der Briefe allerdings durch nachlässige Lektoratsarbeit. So müßte der Brief Federns vom 2. Juni 1961 (wahrscheinlich richtig: 2. März 1961) nicht auf Seite 138, sondern bereits auf Seite 103 (vor dem Brief von Waelder vom 4. März 1961) stehen, denn Waelder zitiert hier (Seite 105) bereits wörtlich den an späterer Stelle (Seite 139) abgedruckten Briefinhalt Federns.

Neben formalen fordern auch die von Federn vertretenen inhaltlichen Standpunkte mitunter zur Kritik heraus. Das betrifft besonders die in „Teil Fünf“ versammelten Aufsätze „Über die Geschichte der Psychoanalyse“, in denen nicht durchweg, wohl aber an zentralen Punkten ein Geschichtsbild tradiert wird, das sich jener Heldenverehrung verdankt(e), die Federn an anderen Stellen zurecht angreift. Während der Beitrag über die Exilierung, Amerikanisierung und Medikalisierung der Psychoanalyse, in dem sich Federn kritisch mit der Ausschaltung der „Laien“-Analytiker in den USA und den Folgen für die psychoanalytische Theorie und Praxis befaßt, noch heute Aufmerksamkeit verdient, wirkt Federns Kritik an Sulloway („Da er überhaupt nicht weiß, was Psychoanalyse ist, kann er auch nichts Ordentliches darüber schreiben.“ – Seite 212) oder an Ellenberger („... versuchte Freuds heroische Kämpfe herunterzuspielen“ – Seite 238) rechthaberisch und angestaubt. Diese Kritik ist vom Geist einer Psychoanalyse beseelt, dessen Herkunft Federn verdienstvollerweise auch aufgezeigt hat): „Dieses sehr subjektive Gefühl, ein Teil eines größeren Ganzen zu sein, einem Meister in unverbrüchlicher Lebenstreue zu dienen, war ganz besonders unter den Wienern ausgeprägt“ (Seite 306). Auch bei Paul Federn, dem Vater des Autors, der „sich in einer Art Abschiedsbrief an mich den >Hauptfeldwebel in der psychoanalytischen Armee<“ nannte (Seite 307). Von diesem „Hauptfeldwebel“, der zunächst Lehranalytiker und später schärfster Kritiker Wilhelm Reichs war, übernimmt Ernst Federn leider auch die üblichen Verdikte (verrückt und gefährlich für die psychoanalytische Bewegung) gegen Reich, der 1933 auf ausdrücklichen Wunsch Freuds aus der DPG (und damit aus der IPV) ausgeschlossen wurde (vgl. Nitzschke 1997).

Ernst Federns Aufsatzband enthält in zwei weiteren Abschnitten („Teil Zwei: Über Sozialpsychologie; „Teil Vier: Über die psychoanalytische Psychotherapie“) Aufsätze, die neben dem wissenschaftshistorischen auch das berufliche Interessenfeld des Autors erkennen lassen: psychoanalytische Sozialarbeit, besonders mit Jugendlichen. Diese Aufsätze reichen von der 1948 erstmals veröffentlichten Schrift „Psycho-Hygiene – wie sie zur Verhinderung eines Krieges anzuwenden wäre“ bis zu der 1983 veröffentlichten Arbeit „Herausforderungen und Fallen der Milieutherapie“. Auch hier bleibt der Eindruck eines sozial wie politisch interessierten und engagierten Zeitgenossen zurück, der trotz persönlicher Bedrängnis und Verfolgung seinen Optimismus, seinen heroischen Glauben an das Gute im Menschen, niemals verloren hat.

Literatur

Federn, E. (1995): „Um Buchenwald sieben Jahre zu überleben, mußte man vor allem Glück haben“. Interview (mit Bernd Nitzschke). Gegenwart (Innsbruck) Nr. 26, S. 5f.

Nitzschke, B. (1997): "Ich muß mich dagegen wehren, still kaltgestellt zu werden". Voraussetzungen, Umstände und Konsequenzen des Ausschlusses Wilhelm Reichs aus der DPG/IPV in den Jahren 1933/34. In: K. Fallend, B. Nitzschke (Hg.): Der `Fall' Wilhelm Reich. Beiträge zum Verhältnis von Psychoanalyse und Politik. Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1997, S. 68-130.

Rothländer, C. (1998): „Und mit der Hausmusik ging er in den Tod ...“ Über das Leben des Wiener Psychoanalytikers Karl von Motesiczky. Werkblatt (Salzburg) Nr. 41, S. 3-34.

Bernd Nitzschke, Düsseldorf

Die Rezension ist erschienen in: Freie Assoziation 4, 2001, S. 115-118.