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Karl Fallend 

“Dieses Töten machte mir Spaß”

Der Psychiater J. Shay über das Trauma der Vietnam-Veteranen.

In: Presse-Spectrum. 8. August 1998.  

 

Jonathan Shay hat einen unmöglichen Beruf. Er arbeitet als Psychiater in der Ambulanz des Department of Veterans Affairs bei Boston und hat dabei ständig mit ehemaligen Soldaten zu tun, die vor ca. 30 Jahren an einem wahnwitzigen Krieg teilgenommen hatten. Noch heute sind Shays Patienten nicht in der Lage ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten. Das Ausmaß der psychischen Beschädigung durch diesen Krieg ist kaum abzuschätzen, wenn man erfährt, daß über 3 100 000 amerikanische Soldaten in Vietnam dienten und davon mehr als 770 000 an Kampfeinsätzen beteiligt waren.

Noch Ende der 80er Jahre berichteten mehr als 40% der Kampfveteranen, daß sie im vergangenen Jahr drei mal oder häufiger Gewalttaten verübt hatten. Für sie war nach Kriegsschluß der Krieg nicht zu Ende. Eindrücklich beschreibt Shay wie die psychische Deformation durch den Krieg nicht mehr verlassen werden konnte. In ständiger Alarmbereitschaft, in "Überwachheit" wird dem Alltag begegnet; die Herrschaft über das Gedächtnis ging verloren - Situationen des Terrors, der Wut, der Trauer werden nicht erinnert, sondern die entsprechenden Gefühle wiedererlebt. Dieser kontinuierliche psychische Kriegszustand verunmöglicht ein Denken in Kategorien der Zukunft. Was bleibt, ist ein rastloses Verweilen in endloser Gegenwart. Im Vorwort dieses Buches formuliert Jan Philipp Reemtsma die sozialpsychologische Dimension - "daß Krieg eine fortdauernde individuelle Pathologie sein kann - nicht zuletzt darum ist Krieg ein Gesellschaftszustand und die Nachkriegsgesellschaft keine in Frieden."

Jonathan Shay's Erfahrungen mit Vietnam-Veteranen erschüttern und verstören. Selbstredend schreibt er gegen Kriegsverherrlichung und Heldenmythos. Trotzdem kann die Empathie des Lesers leicht ins Stocken geraten. Shay's Klientel sind 'des Nachbarn Söhne', die zu Mördern, zu Massenmördern mutierten, denen, als dekoriert gestempelte Versager, die Aufmerksamkeit versagt blieb. Keine Perversen, keine Sadisten oder Wahnsinnige, sondern extrem Angepaßte an einen Krieg, der manche in der Kulmination zum Berserker werden ließ. Die Verwandlung des einfachen Soldaten in den Berserker, das ist Shay's Fragestellung, wobei er dem Leser den Zugang auf ungewöhnliche Weise eröffnet.

In Homers 'Ilias' findet Shay die passende psychologische Vergleichsstudie. Homer, als der scharfe Beobachter der Psyche des Soldaten, Troja, der Krieg der Kriege, Achill, das "Urbild eines Berserkers", der völlig seine Selbstbeherrschung verliert.

Nach Shay ist Achills Geschichte auch die vieler Vietnam-Veteranen, die prototypisch mit einer moralischen Erschütterung beginnt, mit dem "Verrat an 'dem, was recht ist'". Achill wird um seinen Preis der Ehre betrogen. Sein Zorn läßt ihn verweigern und nur den engsten Kameraden gilt noch sein Interesse; schließlich nur noch einem. Als sein brüderlicher Freund Patroklos an seiner statt im Kampfe umkommt, befallen ihn unermeßliche Trauer, Schuldgefühle und Selbstmordgedanken. Moralische Hemmungen lösen sich und es bleibt nur blinde individuelle Rache. Zorn und Empörung aus tiefempfundenem Leid stehen am Anfang des Weges zur Berserkerwut.

"Sie schmissen mich einfach aus dem Hubschrauber... Von allen Seiten wurde auf mich geschossen... Das war der Augenblick, an dem ich diese Scheißregierung zu hassen begann... Dann sah ich Blut von meiner Hand... Ich fühlte mich verraten und drehte durch... Der Haß wurde immer stärker. Besonders wenn ich sah, was sie den Burschen in der Einheit antaten... Dieses verdammte Töten machte mir wirklich Spaß, ich konnte nicht genug davon bekommen..."

'Fragging' hieß im Jargon der Vietnamsoldaten der Mord an einem militärischen Vorgesetzten. 1013 solcher Morde und Mordversuche wurden dokumentiert. Oberst David Hackworth schätzt, daß 15-20% der amerikanischen Gefallenen durch das Feuer der eigenen Kameraden ums Leben kamen. 

Immer wieder fordern die Vietnam-Veteranen ihre Therapeuten auf: "Hört zu! Hört einfach zu!" Jonathan Shay hat es getan und ein bemerkenswertes Buch geschrieben.

 

Jonathan Shay
Achill in Vietnam.
Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust.
Mit einem Vorwort von Jan Philipp Reemtsma.
Aus dem Amerikanischen von Klaus Kochmann. geb., 320 S., (Hamburger Edition).